Da sind Leute auf der Straße, fröhliche Erwachsene, ungewöhnlich um die Zeit aber egal, denke ich, so im Halbschlaf. Wenige Minuten später ertönt Blasmusik. So laut dass man wirklich wach wird, „im Ernst?“ murmelt der Liebste. Ich fürchte ja, in der Benachrichtgung über den Festablauf stand was von „es wird geweckt“, aber das hier, das hatte ich so auch nicht kommen sehen. Sonntag morgen um viertel nach sieben gehören wir also zu den allerersten für die dieses Brauchtumsfest beginnt. Zuviel der Ehre.
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Julikind wollte mit, zum Festzug, ist allerdings versehentlich wieder eingeschlafen, der Start verzögert sich ein wenig. Der Festzug kommt uns entgegen. Während der Pause, in der die sinnstiftende Sage dieses Festes verlesen wird, findet uns die Oma aus dem Städtchen, ihre Schwester auch. Guten Morgen, guten Morgen, das ist aber schön… „Huch, samma, du bist ja Julikind!“ Julikind nickt, die Großtante begrüßt und entschuldigt sich. Sowas von gewachsen ist das Kind, sie dachte, es sei irgendeine Dame, da neben mir, deshalb hatte sie nicht so genau geguckt. Julikind grinst und wächst gleich noch drei Zentimenter. Mittlerweile wurde der Silberbecher, den der Graf vor hunderten von Jahren dem Ort schenkte zur Einstimmung auf diesen Tag mit regionalen Spazialitäten gefüllt und macht die Runde. Ich suche Blickkontakt mit Märzkind. Sie trägt eine Fahne und hat daher kulturelle Verpflichtungen, aber, ich gestikuliere, sie möge bitte keinen Schluck aus diesem Becher nehmen, Brauchtum hin oder her, sonst holen wir uns womöglich gleich die nächste Seuche ins Haus. Sie guckt „biste bekloppt, das weiß ich doch wohl selber“ und hält ein kleines Plastikpinnchen hoch. Sehr gut. Da ist er ja der Becher, da wollten sie doch… die Oma hakt sich fröhlich bei ihrer Schwester ein, um locker flockig aus dem gleichen Becher zu trinken wie schon 100 andere Leute zuvor. Was denn drin ist, im Becher, frage ich. Irgendein süßes Zeug, murmelt Märzkind, hat sie Organverklemmung von bekommen und muss gleich erstmal Mantaplatte, oder so. „Zwetschge“, sagt die Großtante, aus der nächstgelegenen Brennerei, „köstlich, früher war immer Cognac drin, aber so für morgens ist was süßes ja viel schöner.“
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Die „kleinen“ Mädels haben es schwer, zu jung für Bier und zu alt für Hüpfburg. Aber „man kann nicht zu alt sein, für Hüpfburg, wer unter 1,80m groß ist darf, steht auf dem Schild“, sage ich. Sie haben Bedenken, wegen der vielen kleinen Kinder, ich nicht. Ein Rudel 4-Jähriger räumt innerhalb einer Minute die Hüpfburg. Da trauen sich auch die 12-jährigen und haben Spaß. Oberhalb von 1,80m gibt es keinen Sauerstoff, und jetzt verstehe ich auch, warum die Blagen alle nass geschwitzt sind. Ganz vielleicht wird man doch irgendwann zu alt für Hüpfburg.
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Geburtstagskaffee. An einem Tisch unterhält man sich angeregt, am anderen ist die Stimmung leicht verkatert. Eine Dame verlässt die Veranstaltung auf recht unterhaltsame Weise. Der Hut fehlt noch. „Die Ommi hat Style“, kommentiert Julikind, und möchte wissen wer das ist. Auch eine Großtante. Ach, die kennt sie garnicht. Wir überlegen kurz, und ja, das kann tatsächlich sein. Die hat sich sehr verändert, über Corona.
Zum Abendessen ist nur die Familie da. „so, wer von euch hat denn nun alle Prüfung, dies Jahr?“ nacheinander deutet Schwiegermudda auf ihre Enkel, drei von sechs anwesenden nicken stumm. Das erklärt die Stimmung. Die erfahrene mehrfach-Oma wechselt das Thema: Kartoffelsalat, scheinbar ganz einfach, in Wahrheit die Königsdisziplin der Festbewirtung. Neulich hat sie ein Rezept gefunden, handschriftlich, vom Opa, deshalb hat sie sich getraut und…? Gelungen. Die Enkelschar isst, bis alles alle ist.
Schwiegeroma darf nicht mehr allein aufstehen. Es wurde eine Kamera platziert, wegen Festtag, wer auch immer dran vorbeiläuft und was beobachtet – Meldung machen. „Oma, die Oma will aufstehen“
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Ein Gewitter. Bei der Omma hat der Blitz eingeschlagen. Sie nimmt es so dermaßen gelassen, dass man sich fast Sorgen macht. Der Rauch, der scheinbar aus dem Dach kam, kam zum Glück aus dem Schornstein, sagt der Vatta, aber bisschen Pulsfrequenz hat er gehabt.
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Eine spontane Einladung zur Geburtstagsfeier, und, jo, da haben wir tatsächlich ein bisschen Zeit. Es gibt wieder einen Bekanntenkreis von Leuten, denen man einmal im Jahr begegnet. Schön.
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Maikind hat erst ab Mittag Geburtstag, sagt er. Vorher will er garnichts. Ich zünde trotzdem die Geburtstagskerze an, gratuliere kurz und lasse ihn dann in Ruhe beim Hund sitzen. Letzter Prüfungstag, heute.
Mittags kommt er als neuer Mensch nach Hause. Zum Kaffee ist der ganze Tisch voller Großeltern. Draußen sitzen kann man nicht, die Sonne täuscht, aber Geburtstagsfotos kann man machen, vor der blühenden Hecke. Ein fröhlich blödelndes Geschwisterbild fängt die Stimmung perfekt ein, Prüfungen fertig. Abends Gegrilltes und Gemütlichkeit bis halb elf.
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Pfingstmarkt im Städtchen, die Mädels würden da ganz gern mal gucken. Wir finden direkt einen Parkplatz und wundern uns. Es ist überhaupt nicht so viel los wie erwartet. Nach einer Stunde wird uns klar wieso. In wirklich jeder Verkaufsbude der Marktgassen läuft das Radio. Nach Jubel wird gefachsimpelt. Ah, da war doch was. Ohne Absicht haben wir ein optimales Zeitfenster erwischt. Irgendwer wird gerade deutscher Meister und es scheint spannend zu sein. Bisher waren wir ja meist am Familientag auf dem Markt, wegen halber Fahrpreise. Unterm Strich nimmt es sich aber nichts. Nach einer Runde Fahrgeschäft zum vollen Preis geht man an den Fressbuden einfach so vorbei. An den Eingängen zum Festgelände gibts Trinkwasser-Zapfstellen, eine richtig gute Idee, heute ist nämlich Sommer. Sonnenbrand im Nacken.
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Fussballergebnisse: Ein grölendes OOOLeeeeeeeOleeeOOOlllee in Richtung des Liebten und die Anweisung gegenüber dem Pluseinskind „wirklich ganz ernsthaft einfach nur die Fresse zu halten, bitte, weil, schlimmer hätte es nicht kommen können“