Im letzten Jahr am Sylvesterabend hatte ich in aller Stille und nur für mich selbst beschlossen: Im nächsten Jahr hätte ich gern ein weihnachtliches Gefühl, das ich nicht mit „am Ende meiner Kräfte“ beschreiben muss. Ich beschloss, von jetzt an in meinem eigenen Team zu spielen, und mir einen Feierabend zu gönnen. Machen andere doch auch.
Wenn man seit fast vierzehn Jahren 24/7 Bereitschaft hat ist es ein revolutionärer Gedanke. „Das glaubst du doch selber nicht“ kommentierte die Stimme in meinem Hinterkopf. Doch. Ich war bereit, der inneren Zickenelse das Kommando zu übergeben. Die Frage „kannste mal gerade?“ wird ab jetzt gefiltert:
Entsteht jemandem gesundheitlicher Schaden, wenn ich es nicht mache?
Entsteht uns ein finanzieller / materieller Schaden, wenn ich es nicht mache?
Würde es den gesellschaftlichen Tod (unter Berücksichtigung der allgemein pubertären Situation) bedeuten, es nicht zu tun?
Habe ich Lust und Zeit ?
Wenn man innerlich schon vier mal NEIN gesagt hat, fällt es deutlich leichter, es das fünfte mal laut zu sagen, habe ich im Jahresverlauf festgestellt. Viele Sachen waren so unwichtig, dass ich sie selbst schon vergessen hatte. Zum Glück habe ich mir hin und wieder eine Notiz gemacht. Wenn ich jetzt den nicht entstandenen Zeitaufwand ehrlich und realistisch zusammenrechne, komme ich auf weit mehr als 20 Stunden.
Die freie Zeit habe ich genutzt, um liegen gebliebenes zu erledigen. Säcke-und Kistenweise habe ich Zeug rausgetragen. Dabei sind Freiräume entstanden, sowohl im Kopf als auch im Haus.
Zur Inspiration:
Winter/Frühling
Ich war nicht als „plus eins“ beim Neujahrsempfang des Sportvereins.
Ich habe nicht teilgenommen an einem Gesprächsabend zum Thema „Kirchendekoration zum Konfirmationsgottesdienst“
Viermal habe ich keinen Gesprächsbedarf angemeldet beim Elternsprechtag. Damit habe ich tatsächlich drei Termine gespart, inklusive Hin- und Rückfahrt und warten auf dem Flur, weil der vorgesehene 15 Minutentakt nicht realistisch ist.
Ich habe einen länger geplanten Ausflugstermin nicht umgeplant, obwohl spontan noch eine Einladung zu einer Geburtstagsfeier kam.
Ein Taufgottesdienst und ein Frühstück zum runden Geburtstag finden genau am gleichen Tag, zu genau der gleichen Uhrzeit statt. Wir entscheiden uns für eine Feier, statt für zwei halbe.
Keinen Kuchen für die Feier eines besonderen Geburtstages angeboten. Trotzdem eine Platte Kuchen mit nach Hause bekommen – es war zuviel da.
Eine kleine Gästin wird ohne jeden Kommentar anderthalb Stunden später abgeholt als vereinbart. Das ist seltsam, aber die Mutterkollegin erzieht allein. Für mich war es eigentlich nur ein organisatorisches Komfortzonenproblem. In der Woche drauf genau das gleiche. In der dritten Woche sage ich einfach mal „nein, heute nicht“.
Am Tag vor der Konfirmation habe ich nicht die Auffahrt gefegt. Hauptsächlich weil es den ganzen Tag stark geregnet hat. Das es mir tatsächlich nichts ausmacht, dass alle Kartenbringer Laubreste gesehen haben, ist mir erst nachher aufgefallen.
Eine Kuchenspende für die gute Sache verweigert, hat niemand gemerkt.
Statt dessen habe ich 16 mal „ja“ gesagt, als mir Spenden fürs Konfirmationskuchenbüffet angeboten wurden. Nichts selber zu machen war eine sehr gute Entscheidung, das Nervenkostüm…
Sommer
An zwei Trauerfeiern nicht teilgenommen. Als die Glocke geläutet hat, habe ich die Hausaufgaben-Betreuung unterbrochen und einen Moment andächtig auf der Treppe gesessen. Später habe ich erfahren, dass die Gäste bei beiden Feiern bis vor die Tür standen. Mein Fehlen hat vermutlich niemand bemerkt.
Wegen Hitzewelle habe ich mir an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen erlaubt, nur das nötigste zu machen. Klingt banal, ist aber nicht so einfach, wenn man an seinem Arbeitsplatz auch wohnt und sieht wie sich Stapel bilden.
Keinen Sommer-Familienurlaub gebucht. Das Preis/Leistungsverhältnis im Juli passt nicht mehr. Weg von zu Hause waren wir trotzdem zwei Wochen jeden Tag, wir wohnen ja in einer Feriengegend. Wieviel Stress das packen und räumen eigentlich macht, war mir vorher nicht bewusst.
Winter und Weihnachtszeit
Die Kinder hatten Hitzefrei an dem Tag, als es die ersten Lebkuchen zu kaufen gab. Ich weiß noch, wie ich, ziemlich verschwitzt, vor der frisch aufgebauten Weihnachtsinsel im Rewe stand, und die Entscheidung traf: NEIN! Ich bin raus! Advent ist bei uns jetzt im Advent. Punkt.
Die Adventsverweigerung war herrlich. Konsequent bin ich an jeder weihnachtlichen Dekoinsel und allen Lebkuchenregalen vorbeigelaufen. Dabei habe ich überraschend viel Geld gespart und hatte die Erkenntnis, das niemand etwas vermisst.
Als es wirklich anfing Weihnachten zu werden, habe ich einfach die vorhandene Dekoration hingestellt und mit einer Tradition gebrochen. Sehr zum Entsetzen aller anderen werden in meiner Familie keine Plätzchen gebacken. Seit Generationen nicht. Nun will aber im Dezember auch keiner mehr die ollen gekauften essen, die ja schon seit September rumstehen. Ich habe also gebacken. Viele, viele Plätzchen. Und habe viele, viele Komplimente bekommen dafür, so viele, das ich tatsächlich drüber nachdenke, das dieses Jahr wieder zu machen.
Zwischen Totensonntag und Sylvester habe ich keinen einzigen Gottesdienst besucht, kein Adventssingen, keinen lebendigen Adventskalender, keine Lesung im Stall, kein Rudelsingen, und danke nein, kein Friedenslicht, nix. Grüße an die anderen Grinche, die mir in dieser Zeit begegnet sind.
Dem Märzkind habe ich zwei Tage vor Weihnachten erklärt, wie man Zimtsterne backt. Sie hat tapfer durchgezogen. Als das Maikind sich beim Festtagskaffee den dritten nahm, bekam er den geschwisterlich freundlichen Hinweis: „genieß die gefälligst, das ist scheißviel Arbeit „.
Das hat mich stolz gemacht.
Zum ersten Mal seit langem hatte ich im Januar nicht das Gefühl, einen Winterschlaf halten zu müssen.