Tag 46 bis 48, es regnet

Endlich Regen, vorerst eine Sorge weniger. Der Wald riecht wieder nach Wald, es macht ein Geräusch, wenn der Hund auf die Wiese rennt um die Frisbee zu fangen, weil das Gras auf einmal so lang ist. Die Rapsfelder sind grell gelb und auch nach acht Wochen bringt mich die Fernsicht noch zum Staunen.

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Grundschule läuft. Das Material war etwas anders, weil ja beinah Schule gewesen wäre, aber kein Problem.

Online Unterricht war in der letzten Woche fast genauso blöd wie gar kein Unterricht. Es ist in dieser Form hoffentlich noch in der Findungsphase.

Beim Maikind wollte schon die zweite Woche in Folge eine Mathelehrerin Ergebnisse haben. Sie meldet sich auch mit Korrekturen schnell zurück. In diesem Kurs sitzen normalerweise 31 Kinder. Das wirft natürlich die Frage auf, was aus den anderen Lehrern geworden ist. Die verschollene Englischlehrerin hat von sich aus eine nette mail geschickt. Einige der Informationen hätten mir vier Wochen früher noch mehr geholfen, aber immerhin. Man liegt anscheind gut in der Zeit, weil in diesem Jahr ja sonst nichts mehr stattfinden wird (Klassenfahrt, Sportfest….). Ihr wäre es auch wichtig, dass die Kinder in dieser Situation glücklich sein können, daher erstmal kein Termindruck. Das Kind sagt, am glücklichsten wäre es ganz ohne Englischaufgaben. Wir finden einen Kompromiss. In Deutsch kamen bis jetzt nur zwei umfangreiche Aufgaben. Da auf den ersten, nur zum Teil geschafften Auftrag, bisher keine Reaktion erfolgt ist, wurde die Arbeit am zweiten vorsichtshalber noch nicht angefangen. Die Lehrerin ist normalerweise sehr zuverlässig und organisiert, aber „wenn die tot ist, kontrolliert das doch sonst eh keiner.“ Was soll ich dazu sagen? Der Junge hat recht.

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In der Speisekammer habe ich zwei Gläser Stachelbeeren gefunden, die in 2016 abgelaufen sind. Leider hat die sensorische Überprüfung das bestätigt, es gab Pflaumenkuchen.

Ich dachte, damit sei ich die Königin der Chaoten, aber meine Schwester besitzt eine Dose Erbsen und Möhren, die schon beim Einzug in die Wohnung (vor acht Jahren) abgelaufen war. Ob die schlecht ist, wird man dann sehen. Respekt.

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Zwei Ameisen laufen über die Arbeisplatte neben der Spüle. Es sind immer nur zwei und sie sind sehr klein. Unmöglich zu sagen, woher sie kommen oder was ihre Mission ist. Ich habe sie schon den Abguss runter gespült, mit dem Biomüll rausgetragen und eingesaugt. Ich bleibe dran, die planen doch irgendwas.

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Der Kleiderschrank des Maikindes sah aus… Wir haben ihn einmal komplett ausgeräumt und bei der Aktion direkt alles draußen gelassen, was nicht mehr passt.

„5 Tshirts? Wenn die Läden öffnen müssen wir dann mal einkaufen.“

„Hää? Wieso? Eins ist in der Wäsche, eins liegt im Bad, eins hab ich an, sind doch noch zwei im Schrank.“

Auch gut. Ich nehme mir vor, diese Tshirts einfach immer zu waschen, egal bei welcher Farbe. Mit Maske Klamotten kaufen ist blöd und bestellen geht nicht, weil das Kind gerade keine Normgröße hat.

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Die Mädels finden auf dem Dachboden eine Kiste Klamotten, die alle noch top sind, weil das Märzkind auch so schnell gewachsen ist. Das Julikind freut sich. Der Kleiderschrank wird auch neu sortiert.

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Bei solchen Aktionen altere ich schneller als an Geburtstagen.

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Die Hausarztpraxis hat mich angerufen und um einen Termin gebeten. Seltsam, ich hoffe das heißt nix. Das ist schon der zweite Eintrag im Kalender für Mai.

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Ich schreibe eine Trauerkarte. Es ist schon die zweite Trauerfeier im lockdown. Bei Geburtstagen haben wir mittlerweile eine Routine, da gilt die Parole „alles wird gut“. Worte zu finden, für Leute, die alleine trauern müssen fällt mit schwer.

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Nächste Woche werden wir Möglichkeiten finden, das die Kinder Freunde treffen können. Vielleicht nur einzelne Freunde und nicht so lange und draußen, irgendwie, irgendwo, aber jetzt.

Liebes Brautpaar

Ein Hochzeitsspiel bat uns, uns an eure Feier zu erinnern. Im März. Und, in dem ganzen Gewusel hätte ich es fast, übersehen. Es ist März.

Der perfekte Ort und wir

Es ist die Hochzeitslocation. Früher wars wohl mal die Scheune einer Mühle, aber das sieht man kaum noch. Stoffbahnen und Lichtinstallationen, weiße Tischtücher und Stuhlhussen, Wiesenblumen in Vintagevasen auf Baumscheiben, Team Braut trägt pastellfarbene Tüllkleider mit Jeansjacken, die Herren haben ihre Socken farblich mit den Einstecktüchern abgestimmt. Professionelle Restaurantfachkräfte umsorgen stets freundlich lächelnd die 160 Gäste, zwei Fotografinnen halten alles aus verschiedenen Perspektiven fest, auf der Damentoilette steht ein Notfallkörbchen.

Auf unserer Hochzeit gab’s sowas nicht. Laufmaschen wurden mit Nagellack behandelt, Flecken durch geliehene Halstücher, Blasen an den Füssen? Damals hat man Schuhe eingelaufen, oder einfach ausgezogen. Von der Feier gibts keine 20 Bilder, aber so manches zu erzählen. Ich komme mir uralt vor.

„Wollen wir mal nach draußen?“ werde ich gefragt. Gerne. Draußen stehen outdoor Sitzgruppen wie Sofalandschaften. Jeweils mit einem mobilen Außenkamin in der Mitte. Wir entscheiden uns für eine Sitzgruppe etwas abseits. Ein sehr romantischer Ort. Man blickt auf eine Teichanlage, die umstehenden Bäume werden dezent angestrahlt, im Hintergrund das sanfte Rauschen des Mühlenbachs und neben mir – ein markantes Furzgeräusch.

„Samma?“, erkundige ich mich, „geht’s noch?“ „Ja, jetzt gehts wieder, der hing schon seit ner halben Stunde quer“. Mit einem entspannten Seufzer legt die Person neben mir die Füsse auf den Tisch. Eine weitere Person setzt sich zu uns in die hinterletzte Ecke, wirft die Kissen auf den letzten freien Sessel, schaut sich verstohlen um – Furzgeräusch.

Ich schlage die Hände vors Gesicht und murmele. „Was?“ fragt der Neuankömmling, „seid nur ihr hier, hab extra geguckt“. Eine Weile beobachten wir die Festgesellschaft von hier aus. Die Braut bahnt sich einen Weg nach draußen. Etwa alle drei Meter muss sie ein selfie mit irgendwem machen. Eine weitere Person findet zu uns, setzt sich und schaut sich dann suchend um. „Da is aber grad ne Brüllmücke vorbei, haste gehört?“ „Tut gut, ne?“ „Joo, da drinne isses so schick…“ Ich schlage die Hände vors Gesicht und murmele.

Die Braut kommt auf uns zu. Ihr Gesicht entspannt sich und so ohne Instagramlächeln sieht sie ein bisschen müde aus. „Warum sitzt ihr denn so hier hinten, stimmt was nicht?“ Nein, alles super, wirklich eine ganz tolle Feier, es ist perfekt. Nur, einige von uns mussten sich mal einen Moment unflätig benehmen, erkläre ich, deshalb sitzen wir hier.

Ach so, ja denn. Also, eben habe sie sich gefragt, ob denn die Leute nicht langsam nach Hause gehen wollen. Aber, es sei ja noch nicht mal halb zehn, hat sie gerade gesehen und seufzt. Ich ramme meinem Sitznachbarn unauffällig den Ellbogen in die Seite, und bitte im Flüsterton darum, in Anwesenheit der Braut doch bitte die Füsse vom Tisch zu nehmen.

„Was? Oh, sicher, ich dachte sie muss nur pupsen.“ Die Braut posiert da schon für das nächste Foto und hat das zum Glück nicht mitbekommen.

Tja, ein Jahr intensiver Vorbereitungen, hunderte liebevoll ausgewählte Details und das ist er nun, der Moment, der in Erinnerung geblieben ist.

In diesem Sinne, Prost, auf Euch!

Sie habens geschafft

Vor ziemlich genau vierzehn Jahren, da war das Märzkind wenige Monate alt, ist uns klar geworden, dass wir eine Generation aufgerückt sind. Das Kind würde älter werden und wir natürlich auch. Sicher würde diese neue Generation einen Weg finden, uns zu schockieren. Mit irgendetwas noch nie dagewesenem. Wir würden am Tisch sitzen und murmelnd mit den Köpfen schütteln. Aber – mal ehrlich – was sollte das sein? Uns ist damals nichts einfallen.

Auf einer Geburtstagsfeier trägt eine vierzehnjährige eine weite kurze Jeans, deren Bund knapp unter dem Rippenbogen endet. Das Tshirt in Überweite hat sie oben in den Hosenbund gesteckt. Komplett, nicht nur auf einer Seite ein bißchen. An den Füßen schwarze dicke Socken in Saunalatschen. Ich finde es gut, dass nicht alle diese Mega-make-up trends mitmachen und klapperdürr sein wollen. Aber diese Mode ist irgendwie auch extrem. Sie bemerkt meine Blicke. Stolz weist sie mich auf ihre neuen Adiletten hin und freut sich sichtlich darüber. Ich bin mir sicher, dass das hier so ein pubertäres Ding ist und in Klamottenfragen bin ich nicht so leicht zu schockieren.

“ Trägt man darin nicht eigentlich weiße Tennissocken?“, scherze ich. Also, ich dachte ich scherze, aber ich werde anscheind ernst genommen.

Naja, räumt sie ein, eigentlich schon. Im kleinen Städtchen seien aber leider keine weißen Tennissocken mehr zu bekommen gewesen. Im Nachbarstädtchen auch nicht, ergänzt ihre Freundin. Da seien sie nämlich extra noch mit dem Zug hin gefahren. Ich bin mir immernoch sicher, das ich vereiert werde.

„Dann fehlt dir aber noch so ein speckiger Hut und vielleicht noch ein Fotoapparat an einem Band um den Hals.“ Neben mir grinst eine Mutter-Kollegin. Die beiden vierzehnjährigen sind völlig aus dem Häuschen: „ja, das wäre geil“

Ich schüttle mit dem Kopf und frage mich, wieso um alles in der Welt, hübsche junge Frauen absichtlich so aussehen wollen, wie Opas auf dem Campingplatz. Ganz leise natürlich.

Und da wird mir klar, es ist soweit. Sie haben es tatsächlich geschafft.

Erdbeerkakao

Es ist später Vormittag, in einem kleineren Supermarkt.

Ich bin erst seit einigen Wochen Kundin hier. Der bisherige riesige Stamm-Supermarkt optimiert sich seit Monaten, und hat so seinen einzigen Vorteil verspielt. Ich habe schlicht keine Lust, jede Woche bei Null anzufangen, weil die Regale neu sortiert wurden. Für mich ist einkaufen Teil des Jobs, ich komme wegen Hunger. Nicht um bei Dudelmusik an Regalen entlang zu schlendern.

Heute steht Erdbeerkakao auf dem Einkaufszettel. Ich bin mir nicht sicher, ob es den hier gibt. Vermutlich am ehesten im Themenbereich Kaffee. Gegenüber vom Kaffeeregal gibt es den Bereich „was man in Getränke einrühren kann“. Ich trete zwei Schritte zurück und scanne das Angebot.

Eine Frau steht jetzt direkt neben mir. Auf den ersten Blick geht sie auf die siebzig zu, würde ich sagen. Aber ihre Augen strahlen und sie lächelt so schelmisch, dass sie auch Mitte zwanzig sein könnte.

„Sie machen das ja genau wie ich“, sagt sie “ von hier hat man den besseren Überblick, stimmt’s?“

„Stimmt, genau“, antworte ich, “ nach was suchen Sie denn?“

“ Kaffeemilch. Diese winzig kleinen Tetrapaks, kennen Sie die?“

“ Ja, ich weiß, welche Sie meinen, die hab ich hier schon gesehen. Ich glaube, die sind im Themenbereich Milch“

“ Ach. Ja. Das ist eine Idee. Was suchen Sie denn?“

“ Erdbeerkakao“

“ Oh, na dann“ , sagt sie und nickt im Gehen einmal kurz „Waidmannsheil“

Ich nicke ebenfalls kurz, „Waidmannsdank“

Und, siehe da, zwei Fächer unterhalb vom Würfelzucker finde ich ihn, den Erdbeerkakao. Nur von einer einzigen Firma im Angebot, angeordnet in nur einer einzigen Reihe. Keine weiteren Entscheidungen notwendig, so kann ich arbeiten.