KW 24/25 2022

Langes Wochenende und kein Führerschein. Märzkind wird vermutlich an Langweile sterben, langsam und qualvoll, nur dass ich bescheid weiß. Letztes Jahr wars besser, da waren alle zu Hause. Zack, hatte man zehn Leute zusammen, die Zeit hatten, zum Campen am See. Tja, das ist vorbei. Dann backt sie Muffins, weil sie mit der Freundin zum Picknick verabredet ist, abends auf die Kirmes. Das langweiligste Leben von allen eben.


Julikind hat seit zwei Wochen kein whattsapp mehr. Zu unser aller Überraschung vermisst sie es nicht. Wenn man ehrlich ist, sogar fast im Gegenteil. Es gibt diesen einen Moment abends, wenn man sich nicht sicher ist, ob morgen die erste Stunde nun ausfällt, da wäre es schön, mal gerade jemanden fragen zu können. Aber die allermeisten Nachrichten sind entbehrlich. Für die Klassenfahrt sollte das Handy natürlich funktionieren. Nacheinander probieren wir alle alles durch. Ohne Erfolg. Der Patenonkel hat Zugriff auf Fehlersuch-software und stellt mit großem Bedauern den Totenschein für dieses mobile Endgerät aus. Das Problem lässt sich nicht mehr lösen. Julikind ist ein bisschen traurig, aber, dass hatte sie sich gedacht, denn das Handy ist „ja schon zwei Jahre alt“. Der Patenonkel sponsert ein neues.


Die Schule nimmt am „Schulradeln“ teil, eine Unterkategorie der Aktion „Stadtradeln“. Die mail kam vom Klassenlehrer des Julikinds, aber die winkt dankend ab. Maikind läd sich die App runter, holt das Fahrrad aus der Garage und fährt 230 km innerhalb einer Woche. Fahrrad wohlgemerkt, nicht E-bike. Nachdem er zwei Jahre seine Freizeit überwiegend zockend im Zimmer verbracht hat. Ende der Woche teilt er beiläufig mit, dass der Chemielehrer seine Abschlussprüfung übernehmen wird. Er hat nämlich jetzt ein Thema für seine Präsentation. Der Liebste und ich schauen uns verwundert an. Das ist toll, aber hä?


Endlich Sommer, ich mag wenn`s warm ist und freue mich. Leider bin ich da die einzige. Um mich rum nur „nörgelnörgel viel zu heiß, wie lange dauert dass denn jetzt, diese Hitzewelle nörgelnörgel…“ Ich bitte euch, drei warme Tage sind angesagt, das kann man überleben. Mein Plan war, das nicht nur zu überleben sondern sogar zu genießen. Statt dessen halte ich Türen und Fenster geschlossen und mache schiefend Hausarbeiten. Nach dem hundersten Taschentuch mache ich einen Coronatest, so elend fühlt es an. Heuernte.


Samstag Abend wird der Wald mit irgendwelchem Partylicht angestrahlt, sieht schön aus. Die Grillhütte spielt „Cordula Grün“ zur letzten kleinen Hunderunde des Tages.


Wenn es jetzt so warm ist, wäre es schön, kurze Hosen zu besitzen, denn die vom letzen Jahr passen nicht mehr. Märzkind übergibt die Vorjahresklamotten an Julikind. Die passen. Erfreulich, dann braucht ein Kind keine neue Klamotten, aber, meine Güte, wie alle gewachsen sind in einem Jahr.


Vormittags bei der Hunderunde mit einer Hausfrauen-Kollegin festgeschnuddelt. Sowas passiert auch nur im Sommer. War schön – und der Hund ist danach müde gespielt.


Eine Kugel Eis in der Fussgängerzone kostet 1,30 Euro. Ich esse gern Eis und ich bin bereit für gutes Essen Geld auszugeben. Dieses Eis schmeckt nur leider nicht mehr gut. Vermutlich wurde inflationsbedingt die Rezeptur optimiert. Das können sie an Leute verkaufen, die sowas nicht merken. Ich bin raus.


„25°C kann man aushalten“, sagt Julikind, „mehr ist zuviel“. Zum Glück hat die Freundin Zeit und die beiden werden ins Freibad gebracht. Zum Abholen fahre früher los, dann kann ich auch noch eine Runde schwimmen, so der Plan.

Irgendwo ist gerade ein Badesee gesperrt, sagen sie im Autoradio. Ein junger Mann ist ertrunken und wurde bisher nicht gefunden, deshalb ist der Badestrand gesperrt. Das scheint mir angemessen, da würde ich auch garnicht schwimmen wollen. Im Mittelmeer ertrinken regelmäßig Leute, sagt die kleine fiese Stimme in meinem Kopf, da werden die Strände nicht gesperrt. Naja, das ist was anderes, da würde ich glaube schon schwimmen gehen wollen. Anscheind gibt es irgendwo in mir drin, ein Verhältnis Wasser zu Leiche ab dem ich sagen würde „mmmjo, passt schon“, und ich frage mich, wie groß das wohl ist. Was man so denkt, bei 35°C. „Cringe“, ist wohl das Wort, das die Kinder dafür verwenden würden.

Am Zaun des Freibades stelle ich fest, dass das Verhältnis von Wasser zu lebenden Menschen mir hier heute nicht passt. Es ist so dermaßen voll, da nehme ich mir einfach das „falls man mal irgendwo länger auf jemanden warten muss-Buch“ aus dem Handschuhfach und setze mich vorm Freibad in den Schatten. Eine halbe Stunde später kommen zwei fröhliche, müde, Mädels mit Freibad-strubbel Haaren auf mich zu. Pizza haben sie gegessen und jede Menge Leute getroffen. Das Mutterherz erlebt einen weiteren Nach-Corona-Moment. Die wissen eigentlich garnicht, was sie alles verpasst haben.


De Omma bekommt Küken. Eigentlich erst Mittwoch oder Donnerstag. Aufgeregt ist sie aber schon Montag und Dienstag… da guckt man lieber einmal zuviel im Hühnerstall…wie ein Kindergartenkind in der Woche vor Weihnachten. Donnerstag sind tatsächlich 6 Küken da und es kehrt Ruhe ein. Ich bin nicht die einzige, die heimlich aufatmet. Wenn`s gut läuft, beschäftigt sie das bis zu ihrem Geburtstag.


Ich fahre mit den Mädels Gärten angucken. Im Flyer vom „Tag der offenen Gärten“ stand was von Rosengarten und Julikind malt gern Rosen. Märzkind macht Fotos mit dem neuen Objektiv. Der Garten des Gutshauses ist toll, aber haben wollen würden wir den nicht. „Stell dir mal vor, du müsstest hier Schitt ruppen. Das alles.“ Märzkind macht eine Geste über die wunderschön gepflegten Beete. Julikind macht ein nachdenliches Geräusch, so gesehen kann man doch auch gut ohne Pool leben.

Foto: Märzkind

Der Salbei im Garten blüht. Von der Bank aus kann man Hummeln, Bienen und ja, was denn eigentlich beobachten? So ein Tier hatten wir noch nie hier. Womöglich haben wir eine neue Art entdeckt. Es bewegt sich wie ein Kolibri und macht überhaupt kein Fluggeräusch. Märzkind googelt Kolibri-Hummel. Es handelt sich um einen Wollschweber, und der gehört zur Familie der Fliegen, anscheind gibt es davon 34 verschiedene in Deutschland. Wieder was gelernt.

Tomaten kommen, je eine winzige Paprika und Aubergine wachsen, Salat haben wir schon gegessen, Gurken auch. War eine gute Idee, den Boden zu düngen.


Da wohnt anscheind jemand direkt nebenan. Auf dem Video in der whatssapp Gruppe des Liebsten sieht man einen Garten. Trampolin, Sitzecke, alles wie überall. Direkt hinter dem Zaun wechselt allerdings die Farbe. Unten im Bild ist es orange, darüber schwarz, dazu ein Knisterknack- Geräusch wie Kaminfeuer und Sirenen. Das Holzlager eines Baumarktes ist abgebrannt, im Städtchen.


Irgendwas muss auf der Weser transportiert werden. Dafür braucht es das Wasser aus dem Edersee. Unsere Badestelle ist jetzt Wiese, schade.

20,21,22,23 Dezember

Ab Montag wird eine Ausgangssperre gelten, zwischen 21 Uhr abends und 5 Uhr. Der Hund darf aber noch, wenn er muss. Ansonsten will man um die Zeit sowieso nichts mehr draußen. Wobei, abends nach neun noch mit Glühwein durch den Ort laufen, gerade fällt mir auf, dass man das ja könnte. Sonst will ich das nie, aber wenn ich es morgen nicht mehr darf, dann tut es mir vielleicht leid. Und, ich wollte sowieso noch eine Karte einwerfen. Da mache ich jetzt aber mal Glühwein heiß, kommt jemand mit? In nebligem Nieselregen trinken wir Glühwein und Cola auf dem Dorfplatz und laufen eine Runde durch die Altstadt, also, den unteren Teil vom Dorf. Alles ist so schön beleuchtet, das sieht man garnicht, wenn man sich nach 18 Uhr immer nur drin aufhält.

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Nach dem Abendessen spielen wir noch irgendwas. Alle zusammen. Irgendwer nörgelt immer. Es geht hier aber auch nicht um Spass, sondern darum, irgendeine Art von Shutdown-Ritual zu finden, das den Abend einläutet.

Dieses Spiel ist ganz einfach, man braucht nur einen Würfel. Man darf so oft Würfeln wie man will, die Zahl der Augen wird addiert. Würfelt man eine drei, setzt das alles, was in dieser Runde bis jetzt erwürfelt wurde auf null und der nächste ist dran. Wer zuerst hundert erreicht gewinnt. 4,9,13,16nnaaargh Mist!

Ohne Absicht verbringen wir einen schönen Familienabend.

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Die Brille des Maikinds hat einen Knacks. Noch hält sie, aber keiner weiß für wie lange. Anruf beim Optiker, Termin ist kein Problem. Das Julikind bekommt auch gleich einen, sie sieht schon länger verschwommen. Wenn es jetzt die Möglichkeit gäbe, mal unter Menschen zu kommen, muss sie aber mal ganz dringend in dm, sagt das Märzkind. Der Liebste übernimmt die tour – alle verlassen das Haus. Ungewohnt. Mein Hirn spielt weihnachtliche Musik ein.

Haaaaallelujaaaaah, halelujah, halelujah, halelujah, haleeeeheeluujaaaah.

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Weihnachtsplätzchen sollen verschenkt werden. Der Gedanke kam mir Anfang November, etwas besseres ist mir bisher nicht einfallen, also ist das jetzt der Moment, in dem die gebacken werden müssen. Teig ist schnell gemacht. Ausrollen, ausstechen, rein in den Ofen, raus aus dem Ofen- ähm, da wo im letzten Jahr der Esstisch stand steht jetzt das Sofa. Um die Plätzchen sicher zwischenzulagern muss ich einmal halb durch die Bude. Aber wenn es einmal läuft, dann läuft es.

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Das Auto fährt vor, Kinder mit Einkaufstüten queren meine Laufrichtung. Blick auf den Plätzchenberg „du hast noch nicht gekocht, vermute ich mal?“ Nee, habe ich nicht… Einkaufstüten werden mitten in der Küche abgestellt. Das ist gerade ungünstig… Der Liebste berichtet mir im Vorbeigehen, er habe den Umschlag eingeworfen. Welchen Umschlag?, erkundige ich mich, während ich versuche mit dem heißen Blech durchzukommen, ohne jemanden zu verletzen. Na den einen, hatte ich doch gesagt, er solle den mitnehmen. Ach den, ja stimmt, ich hatte gesagt, wenn der fertig ist. Da fehlte doch noch die Karte, und die dazugehörige Geschenktüte….Chaos mit Zuckerglasur…

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Kurzer Schreckmoment. Hatten wir Kontakt zu den aktuellen Coronafällen? Nein. Obwohl – hatten wir Kontakt zum Kontakt? Ja, aber nein, alles gut.

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Lebensmitteleinkauf am 23. Dezember. Das war so eigentlich nicht geplant, aber nützt ja nichts. Ich ziehe den dicken Mantel an, falls ich auf einen freien Einkaufwagen warten muss. Auf dem Supermarktparkplatz stehen aber kaum Autos. Es gibt jede Menge Einkaufswagen. Alle Regale sind voll bis zum Anschlag, die Angestellen sind fröhlich, die Kassen alle geöffnet. Großeinkauf am Tag vor Weihnachten in 45 Minuten erledigt. Beim einräumen ins Auto überlege ich, ob ich mich freuen oder gruseln soll.

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Sich nicht zu treffen ist irgendwie auch nicht einfacher. Dieses Weihnachten macht mich auf seine ganz eigene Art müde.

Welche Geschenke müssen zusammen in eine Tüte um dann wann von wem wohin mitgenommen zu werden? Ich verliere die Übersicht. Vielleicht hilft es, alle Geschenke, die das Haus verlassen sollen, einmal auf einen Tisch zu packen. Tatsächlich. So findet sich schnell eine logische Anordnung nach Haushalten. Murmeld stehe ich davor, im Keller steht noch was, im Auto auch… „Wow“, flüstert das Julikind, und bleibt im Türrahmen stehen. Stimmt eigentlich. Das hatte ich so gar nicht wahrgenommen.

Spoileralarm!

Ich wünsche euch allen von Herzen das bestmögliche Weihnachtsfest!

Herbst

Die erste Hunderunde der Saison in dichtem Nebel. Man sieht etwa 100 Meter Weg vor sich, Nebelschwaden ziehen darüber hinweg, den Waldrand am Ende der Wiese kann man erahnen. Der Hund legt mir bestens gelaunt die Frisbee vor die Füße. Ich bücke mich, um sie aufzuheben, genau in dem Moment höre ich ein Rascheln in der Hecke neben mir. Hufe treffen auf dem Feldweg auf.

„Der kopflose Reiter“, meldet das Hirn, „was sonst?“ Mein Herz setzt einen Schlag aus. Während die eine Hirnhälfte versucht, sich zu erinnern, was der kopflose Reiter eigentlich tut – hatte der ein Schwert? – ich weiß es nicht mehr, meldet die andere Hälfte, dass das unmöglich Perdehufe gewesen sein können. Das Geräusch war viel zu klein. Ich drehe den Kopf und sehe einen ziemlich großen Rehbock über die Wiese laufen. Der hat sich auch erschreckt. Vorwurfsvoll schaue ich Richtung Hund. Das er sich nicht für Wild interessiert ist eigentlich sehr angenehm. Aber im Vorbeigehen mal kurz in die Richtung schnuppern könnte er doch schon, finde ich. Der Hund guckt zurück: Wirfst du jetzt die Frisbee, oder was?

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Zimmer tauschen ist ein bisschen wie umziehen.

„Haben wir keinen Drucker mehr?“

„In der Speisekammer, auf dem Froster“.

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Der Liebste holt noch vor der Schicht das neue Bett des Märzkindes ab und stellt die Einzelteile in der Garage ab. Die Kinder und ich bekommen es ohne Anleitung und ohne Streit aufgebaut, wir wundern uns.

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Alle Kinder bekommen neue Herbstklamotten. Keine bauchfreien Pullis, dieses Jahr. Alle zwanzig Minuten sollen die Klassenzimmer für drei Minuten gelüftet werden. Da wird es nie warm sein, diesen Winter.

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Ein Beherbergungsverbot wird ausgesprochen, wegen der steigenden Coronazahlen.

Nun läuft eine Buchung zu „touristischen Zwecken“ normalerweise so ab: Ich bekomme ein Anschreiben von zwei oder drei kurzen Zeilen von demjenigen, der gern kommen würde. Dazu zeigt mir das System an, wie viele Personen und aus welcher Gegend, beispielsweise Nordrhein- Westfalen oder Amsterdam. Dann muss ich die Anfrage annehmen oder ablehnen. Erst nach Bestätigung bekomme ich eine Telefonnummer der Gäste angezeigt. Ich habe also in diesem System gar keine Chance, vorab festzustellen, ob meine Gäste aus einem Risikogebiet kommen. Bei Anreise müsste ich mir dann wohl den Personalausweis zeigen lassen, checken, ob ich die Leute reinlassen darf und im ungünstigsten Fall direkt wieder nach Hause schicken, oder wie hatte man sich das gedacht?

Monteure dürfen beherbergt werden. Egal woher sie kommen.

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Eine kleine Unachtsamkeit hatte zur Folge, dass wir mal diese Kruschel-Schublade in der Küche, in der alles drin ist, was man so täglich braucht, komplett ausgeräumt haben (um alles abzutrocknen). Wenn man das ganze Zeug dann so rumliegen sieht fällt auf, so ganz dringend braucht man das allermeiste davon eigentlich gar nicht. Die Schublade ist jetzt nur noch halb so voll.

Meine Führerscheinprüfung hat übrings 252 DM gekostet, die Quittung hab ich noch.

Heu und Regelbetrieb

Männer, die mit hochauflösenden Ferngläsern irgendwo im Feld stehen, sind mir unheimlich. Vor allem, wenn verschiedene Männer zu verschiedenen Zeiten scheinbar die gleiche Stelle beobachten. Mein Hirn möchte wissen, was da beobachtet wird. Man sieht aber ohne Fernglas natürlich nichts. Merkwürdig.

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„Warum kreisen da so viele Vögel?“, wollte das Maikind wissen.

„Das sind Milane, die sind eigentlich sehr selten.“

„Sieht nicht so aus…“

„Stimmt.“

Merkwürdig.

Windräder sollen da irgendwo gebaut werden. Das ist einerseits schade, weil es wirklich eine schöne Ecke ist und zu meinen Lieblings- Hunde -Runden gehört. Andererseits nutze ich natürlich gerne Strom. Jeden Tag. Deshalb kann ich nicht dagegen sein.

Irgendwer ist aber so richtig dagegen und wurde erwischt. Am Samstag stand in der Zeitung, dass seit längerem Schweinefleisch für die Milane ausgelegt wurde, um das Gutachten zu manipulieren.

Krass, ich dachte immer, hier ist nichts los…

Die Milane fliegen übrigens wieder einzeln über die frisch gemähten Wiesen.

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Regelbetrieb der Grundschule, man muss es mit Humor nehmen. Täglicher Unterricht mit der ganzen Klasse von der zweiten bis zur vierten Stunde. Mit Busfahrten dauert ein Schultag von zwanzig nach acht bis zwanzig vor zwölf. Dann Hausaufgaben.

In der Schule sitzt das Julikind neben der Freundin, mit der sie auch die Nachmittage verbringt.

„Weißt du was Mama, an der Bushaltestelle, als keiner geguckt hat, hat Lara mich dann einfach mal geknuddelt,“ bekomme ich im Flüsterton erzählt.

Da haben sich die kleinen Mädels tatsächlich über Wochen tapfer an die Regeln gehalten. Ich staune und mir wird einiges klar. Lara geht nach den Ferien auf eine andere Schule. Es sind die letzten gemeinsamen Schultage.

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Das Maikind hat mittlerweile so viel Präsenzunterricht, das es schon wieder Freistunden gab. Es sind sich aber alle einig, dass es mit halber Klassenstärke viel besser geht. Alles.

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Das Märzkind hat diese Woche nur einen Schultag. Nächste Woche werden dann die Bücher abgegeben.

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Nach einigen Wochen warten auf einen freien Trainingstermin dürfen die Cheerleader wieder zu den alten Zeiten in der gewohnten Halle trainieren. In festen „Päckchen“ und mit viel Abstand zwischen den Kleingruppen. Es wird eingetragen, wer da war. Alles besser als nichts.

Plus vier Elterntaxifahrten pro Woche.

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Das Maikind und ich gehen Erdbeeren pflücken. Nach einer halben Stunde wird uns klar, warum die im Moment so teuer sind. Man muss sie fast suchen, auf dem Feld. 9 Kilo reichen für 25 Gläser Marmelade. 3 Gläser werden direkt in den ersten drei Tagen geleert. Das Maikind hat Sorge, dass die Vorräte nicht bis zum nächsten Jahr reichen.

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Eine kleine Gruppe Jugendlicher versucht einen freien Zeltplatz im Juli zu ergattern. Es gibt genau einen Campingplatz in der Umgebung, der für Zelte öffnet, seit drei Tagen warten sie auf eine Antwort auf ihre Anfrage. Ich befürchte das Schlimmste.

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Überall wird Heu gemacht. Ich musste die Dosis der Medikamente anpassen und befinde mich im geistigen Tiefflug. Alles in allem geht es aber ganz gut, dieses Jahr.

Vielleicht fällt es auch einfach weniger auf. Seit März liegen die gleichen Bücher auf meinem Nachttisch. Ich komme nicht zum lesen, und wenn, ist mehr so ein Buchstaben angucken.

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Ich habe nach fast sieben Jahren mal wieder ein Neugeborenes aus der Nähe gesehen. Ich hatte völlig vergessen, wie klein die sind. Es standen zwei Hobby-Footballer neben dem Kinderwagen, das hat vielleicht die Wahrnehmung verzerrt.

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Zum zweiten Mal wurde ein angefragter Zeitraum für die Ferienwohnung kommentarlos nicht wahrgenommen. Es gab zwei neue Anfragen, seltsame allerdings.

Ganz grundsätzlich kann ich sagen, es geht mir dabei um Geld. Diese Anfragen, die so tun, als wäre es ein unfassbares Glück für mich, stundenlang für wildfremde Menschen zu putzen beantworte ich mittlerweile ohne Umschweife: Nein.

Solange ich es mir leisten kann.

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Ein voll besetzter Ferienflieger macht sich auf Richtung Mallorca. Das Märzkind leidet meist leise unter den Kontaktbeschränkungen, hat jetzt aber Schnappatmung. „Wieso dürfen die so in den Urlaub und wir nicht normal in die Schule?“ Ich weiß es nicht.

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In NRW gibt es den ersten regionalen lockdown, nachdem sich jede Menge Arbeiter in einem Schlachthof angesteckt haben. Ich wundere mich, dass scheinbar alle überrascht sind, wie die Leute wohnen (müssen). Reisende Malocher erzählen oft Geschichten von Unterkünften, die sie so angeboten bekommen. Wir sind alle ein bisschen froh, das der Fleischverarbeitende Betrieb im Landkreis letztes Jahr schon pleite gemacht hat.

die Toten sind bitte leise

Geplant war eigentlich ein Geländespiel im Dunkeln und eine Nachtwanderung. Ab jetzt ist es improvisiert, aber was solls, es ist ja nicht unsere erste abgesoffene Geburtstagsfeier.

12 Kinder sitzen um den Tisch, zum Teil in Schlafklamotten mit geborgten Strickjacken und ohne Socken, es ist nicht kalt. Und die Stimmung ist überraschend gut. Gerade gab es Pizza im Starkregen. Also, schon unter dem Dach, aber draußen. Nass waren da sowieso schon alle. Den Rest des Abends haben wir in den kleinen Raum, aus dem normalerweise die Getränke verkauft werden, verlegt.

Der angemietete Sportplatz des Nachbardorfes liegt genau zwischen zwei Ortschaften mitten im Wald. Man sieht und hört keine Straßen, nachts wird es dunkel und still. Genau der richtige Ort für eine Zelt-Übernachtungsparty. Die Kerzengläser, die eigentlich für das Geländespiel gedacht waren kommen jetzt in die Tischmitte, das elektrische Licht wird gelöscht.

Wir spielen Werwolf* (*Werbung, wahrscheinlich, wurde selbst gekauft)

Jeder bekommt eine Karte schaut sie heimlich an und legt sie vor sich auf den Tisch. Es gibt einen Spielleiter, der macht die Ansagen.

Die Nacht bricht an, alle Dorfbewohner schlafen. – Alle Spieler schließen die Augen. Es gibt Dorfbewohner und Werwölfe, eine Hexe und einen Amor. Die Werwölfe kommen während der Nacht und „töten“ einen Dorfbewohner. Wer die Hexe gezogen hat, hat die Macht einmal zu heilen, also jemanden von den Toten zu erwecken, und einmal zu vergiften, also jemanden aus dem Spiel zu nehmen. Der Amor kann zwei Leute miteinander verlieben. Verliebte sterben gemeinsam. Egal zu welchem Team sie gehören. Am Ende des Spiels sind entweder alle Werwölfe enttarnt oder alle Dorfbewohner gefressen. Das jeweils andere Team hat dann gewonnen. Jeder kennt nur seine eigene Karte.

Der Spielleiter weckt Amor. Er erwählt zwei die ab jetzt verliebt sind. Alles ist auf einmal sehr leise. Amor schläft wieder, die Verliebten erkennen sich. Lautlos natürlich, sie werden nur angetippt, schauen sich kurz an,und zeigen sich gegenseitig ihre Spielkarten. Dann erwachen die Werwölfe und wählen ihr Opfer, natürlich ohne Worte, dann schlafen sie wieder ein. Die Hexe erwacht und bekommt das Opfer der Nacht gezeigt. Sie kann einen Trank anwenden, oder beide oder keinen.

Das Dorf erwacht, alle bis auf einen. Jetzt muss ein Schuldiger gefunden werden. Bei Tageslicht sind alle Mitspieler Dorfbewohner und können sich nach Lust und Laune gegenseitig beschuldigen. Irgendwer wird rausgewählt. Die „Toten“ müssen dann ab jetzt zugucken, dürfen aber garnichts sagen, und auch nicht kichern, noch nicht mal, wenn Leute verliebt werden. Es kommt zu herrlichen Dialogen und erste Spielrunde ist schnell zu Ende. „Hä, wieso lebt Lars noch, wir ha….a…Mist“

Jetzt haben alle verstanden, dass man hier durchaus Sachen erfinden darf. Die Geschichten, die sie versuchen, sich gegenseitig anzuhängen werden immer abenteuerlicher. Mittlerweile ist es echt warm, von den vielen Kerzen. Der Liebste öffnet das Fenster, und macht irgendwas auf dem Handy.

Marie ist sich sicher, dass sie gestern Abend gesehen hat wie Fritzi den Mond anheult. Fritzi wird „abgemurkst“ und es wird wieder Nacht im Dorf. Alle schließen die Augen und horchen ganz angestrengt auf irgendwelche Bewegungen. Draußen regnet es ziemlich heftig, man hört den Wind im Wald und, ganz leise, heult ein Wolf. Obwohl natürlich keiner gucken darf schauen sich auf einmal alle an.

„Habt ihr das auch gehört?“

„Alter, war das echt?“

„Werwölfe gibt`s gar nicht in echt. Oder?“

„Nee, Werwölfe nicht, normale Wölfe aber schon.“

Mit einem Grinsen zeige ich auf den Liebsten, bevor der Grusel echt wird „ich glaube das kam von da“.

„Booaaarmannej, jetzt dachte ich aber kurz…“ „Boar, Alter, ich aber auch“

Erleichterung macht sich breit. Nach dem Schreck machen wir eine kleine Spielpause. Wir füllen Chips und Popcorn nach, reichen Getränke rum.

Also eigentlich müsste auch mal jemand zur Toilette, aber so dringend ist es noch nicht. Man könnte ja zusammen… Schnell findet sich eine Gruppe und alle gemeinsam rennen sie brüllend um die dunkle Ecke auf die andere Seite des Gebäudes – nur zur Sicherheit.

Null acht fünfzehn

Gegen elf klingelt es an der Haustür, ein Servicemitarbeiter in Dienstkleidung steht davor.

Ich: „Hast du nicht gesagt, diese Woche Spätschicht?“

Er: “ War auch so gedacht, um halb sieben haben sie angerufen, ist aber egal, kann ich heut Abend ins Training, gibts `n Kaffee?“

Während ich Kaffee koche erklingt eine schmissige Melodie. Mit den Worten, eigentlich habe er ja jetzt Pause, zieht mein Gast das Handy aus der Tasche. Er seufzt und entschuldigt sich, da müsse er nochmal kurz den Laptop aus dem Auto holen. Im Gehen murmelt er etwas, das wie „der ganzepremiumscheiß“ klingt.

Der Gast rockt beruflich das Internet, aber nur, weil sich Berufe verändern. Im Herzen ist er Handwerker. Er unterscheidet zwischen echten Problemen und Dingen, die irgendwie die Komfortzone berühren. Sein Laptop ist kein Bürogerät. Man kann damit auch im Regen und in leichten Sandstürmen arbeiten. Das Modell für Malocher und Soldaten.

Der Kaffee kocht, der Laptop fährt hoch. Als ich die Tassen hinstelle sehe ich aus dem Augenwinkel, wie der Gast anfängt zu tippen und wundere mich.

Ich: „Samma? Hast du da jetzt gerade 123456 getippt?“

Er ist anscheind mit den Gedanken woanders und murmelt nur: „Nee, is fünfstellig.“

Ich: “ OK, aufgrund der geänderten Sachlage würde ich meine Frage gern neu formulieren: Hast du da gerade 12345 getippt?“

Er: “ Was denkst du denn?“

Ich: “ Also ich dachte, da kommt jetzt n Laserstrahl der deine Netzhaut scannt. Oder einen Fingerabdruck. Oder du gibst wenigstens 08 15 ein, oder 47 11 oder so.“

Er: „Nee, ist doch fünfstellig“

Ich drücke meine Verwunderung aus, dazu braucht es nur ein Geräusch und hole den Kaffee.

Ob ich denn eine Ahnung habe, wie viele Passwörter er sich so über Tag merken müsse, möchte der Gast dann wissen, als er fertig ist, mit der Betreuung des Premiumkunden. Naja, ein paar werden es wohl sein, vermute ich. Drei. Nur um an seinen Arbeitsbereich auf diesem Laptop zu kommen, erfahre ich. Dazu noch diverse für Untermenüs. Und das alles um die Daten von Idioten zu sichern, die meinen, wenn sie den Computer ausmachen, hat das Internet geschlossen.

Oh, da habe ich wohl einen Nerv getroffen, jetzt kommt der Gast ins erzählen. Einer Berufsschulklasse, die er manchmal unterrichtet, sollte er beibringen, Netzwerke zu sichern. Sie sollen in der Lage sein, Fehler zu sehen, zu finden und zu beheben. Das ist in der Theorie schwierig, also hat er sich mit denen in die Fußgängerzone gesetzt. Er habe ja die Hoffnung gehabt, da etwas zu finden. Aber was sie dann gefunden haben, hat ihn doch erschreckt. Direkt beim ersten Versuch sieben offene W-Lans. Sieben!

Ich verstehe nicht, ist doch super, wenn es in der Fußgängerzone W-Lan gibt. An der Ecke gibt es eine Eisdiele, eine Dönerbude, da hängen jede Menge junger Leute rum.

Nee, was ich meine, das wären hotspots. Das ist natürlich OK. Jeder meldet sich mit seinem Gerät an, ist quasi erkennbar. Offenes W-Lan ist aber eher so, als würde man sein Auto parken, den Schlüssel stecken lassen und einen Zettel hinter die Windschutzscheibe legen, wo drauf steht „habt Spass“. Keine gute Idee.

Oh, was sie denn dann gemacht haben, möchte ich wissen. Ja nix natürlich. Sechs von den Netzwerken fielen in die Kategorie „och nööö“, da haben die Berufsschüler einiges gelernt, womit man so im Alltag rechnen muss. Eins war aber eher die Kategorie „ACH DU SCH…..reck“, die mussten benachrichtigt werden. Das ist aber ganz diskret über eine andere Stelle gelaufen.

„Weil im Lehrplan nicht so ausdrücklich steht: Gehen Sie in die Fußgängerzone und häckn die Dönerbude?“ vermute ich.

„Richtich“, der Gast nimmt sich einen Keks und fügt mit Verschwörerstimme noch hinzu, „und, soviel darf ich dir sagen, die Dönerbude war safe.“

Am Abend ändere ich ein paar Passwörter, nur so.