KW 44-47 vorweihnachtliches

Aus mir völlig unerklärlichen Gründen ergibt sich ein fauler Sonntag auf dem Sofa. Ich muss nix. Der Liebste kocht, danach fährt er mit den anwesenden Kindern eine Runde Fahrrad, den Hund nehmen sie auch mit. Ich gucke irgendwas, lese irgendwas, alles ohne Anspruch. Sehr erholsam. Ein paar Dinge denken sich auf einmal von selber. Wenn in diesem Winter wieder die alten Regeln gelten… was habe ich denn wirklich vermisst? Wenig.

Ein paar Menschen sind mir irgendwie durch die Lappen gegangen, da gab es keine Besuchs- oder Glückwuschroutine, man ist sich einfach hin und wieder begegnet. Ich könnte mal ganz old school eine Geburtstagskarte schicken, und fange an, mich nach der aktuellen Adresse zu erkundigen. Das passe aber gut, sagt die Angeschriebene, da habe sie sich sowieso mal wieder melden wollen. Wenige Tage später sitzen wir zu viert an einer herbstlich dekorierten Kaffeetafeln und wundern uns. Jahre haben wir uns nicht gesehen und jetzt einfach so? Schön ist das. Muss man ja garnicht immer jemanden beerdigen, dafür.

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Der Liebste hat sich eingelesen. Die Apfelbäume, von denen wir seit 10 Jahren ernten, die müssten mal geschnitten werden. Er könnte das und bietet es der Stadt an, sind ja öffentliche Bäume. Man freut sich, will aber erstmal gucken, wer da kommt. Morgens um acht verschwindet der Liebste. Die Mittagspause verbringt die Stadt-Gärtnerin an unserem Esstisch. Sie hatte ein bisschen Angst, dass da jemand mit ner Kettensäge auftaucht, sagt sie. Aber, der Name kam ihr bekannt vor. Der Liebste hat das gut gemacht, er darf die Bäume gern schneiden. Ist immer schön, wenn die Leute sich einbringen, viele nörgeln leider nur. Mit dem Willem, da hat sie oft tagelang Bäume geschnitten im Park…die Königin hat gesagt, wie es gemacht werden soll und er musste es überwachen… ein Grinsen… aber mit dem konnte man arbeiten. Einen kurzen Moment sitzt der Schwiegervatter mit am Tisch. „Dem Willem seiner“ zu sein ist immernoch was wert, in Handwerker-Kreisen.

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Ein Besuch im Staatstheater, nur die Mädels und ich. Peter und der Wolf für Menschen ab 4 Jahren. Wir haben ein bisschen Wartezeit und gucken Leute. Es sind sehr viele kleine Menschen da. Genaugenommen sind meine Kinder die ältesten, stellen wir fest. Die großen Menschen sind entweder auffallend schick oder auffallend Öko.

Das Stück war nicht ganz so, wie gedacht, aber gut, sagen die Mädels auf der Rückfahrt. Die vielen kleinen Kinder waren ein bisschen zu laut, da kann ja keiner was für. Vielleicht suchen wir das nächste mal was für Große aus. Theater war deutlich günstiger als Kino, wobei, die zwei Stunden Autofahrt eingerechnet dann doch nicht.

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Der Fachlehrer, der die Abschlussarbeit des Maikinds betreut, bestellt ihn zur Besprechung ein und schickt ihn direkt wieder weg. Kann alles so bleiben wie es ist, Folien machen, fertig. Juhu. Wir hatten garnicht so Lust auf die Nacharbeiten und sind stolz. Ja. Wir.

Funfact zum Thema „die Hausarbeit wird nicht gesondert bewertet“. Es hat sich tatsächlich jemand getraut, nichts abzugeben. Alle wissen, dass der zu seinem Thema jederzeit einen 10 minütigen Vortrag halten kann, bei Bedarf länger. Zahlen, Daten, Fakten alles im Kopf. Er hat erst eine 6 bekommen, dann eine Fristverlängerung. Man fragt sich verschiedenes.

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„Das hat er nur auf der Sachebene verstanden. Du musst dein Anliegen konkret formulieren“, sagt Märzkind zu mir und beißt von ihrem Brot ab. Wir sind alle lebende Beispiele für die angehende Sozialarbeiterin. Aber mir ist tatsächlich gerade selber klar geworden, dass die Frage „Hast du schon mit deiner Mutter über Weihnachten gesprochen?“, zu keinem Ergebnis führen wird. Ich formuliere also neu. „Bitte erkundige dich bei deiner Mutter nach ihren Weihnachtsplänen, damit wir uns richten können. Es gibt Terminanfragen“ „Aaaahhh sooo“ sagt der Liebste. Zwei Tage später erhalte ich die Info: erster Weihnachtstag. Mein Fehler. Die korrekte Formulierung wäre gewesen: Bitte erkundige dich bei deiner Mutter wann sie wo wie Weihnachten feiern möchte, und ob wir etwas mitbringen sollen.

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Die Oma aus dem Städtchen kommt vorbei. Das ist ungewöhnlich. Sie hat gute Nachrichten. Diese seit neun Jahre andauernde Nerv-Sache ist zu einem guten Ende gekommen. Die hatten wohl gehofft, dass sie vorher stirbt, ist sie aber nicht, deshalb bekommt sie jetzt endlich Geld ausgezahlt. Davon will sie uns einladen, alle, zum Essen, am zweiten Feiertag. Das freut mich, wirklich, es liest sich auch ganz toll, was da auf dem Restaurantzettel steht, aber, wir hatten uns fest vorgenommen nie wieder an Weihnachten essen zu gehen. Vielleicht geht da noch was? Die Oma hat ja zwei Wochen später Geburtstag. Ich wage den Versuch. „Nee, ist ja nicht an Weihnachen“, sagt sie fröhlich „ist doch der zweite Feiertag. Ihr kommt zu sechst.“ Ähm. Kurzer Blick zum Liebsten, der grinst und zuckt unauffällig mit der Schulter. Tja dann- kommen wir gern. Aber für das Pluseinkind kann ich nicht garantieren. „Sechs Leute sind gemeldet“, sagt die Oma.

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Laut der Beschilderung können und kosten diese Drucker alle ungefähr das Gleiche, wahrscheinlich ist es egal. Nach einer viertel Stunde auf und ab laufen vor dem Regal entscheide ich mich für irgendeinen, suche die passenden Patronen und stelle mich an der Kasse an. Vor mir warten schon zwei Kunden. Alle gucken suchend in den Elektromarkt, dann schauen wir uns gegenseitig fragend an. Ist überhaupt Personal hier? Man weiß es nicht. Fünf Minuten später taucht jemand auf. Das war knapp. Ich hatte gerade entschieden, diesen Karton hier stehen zu lassen und mir einen im Internet zu bestellen.

Im Klamottenladen hätte ich nur eine Kleinigkeit zu bezahlen. Die Dame an der Kasse ist völlig überfordert, man sieht es eigentlich schon von Weitem. Nach fünf Minuten im Wartebereich hänge ich das Teil zurück. Man möchte keine Umstände machen.

Mehr Zeit einplanen und mehr Nerven, nehme ich mir vor. Mal gerade nebenbei geht garnichts, diesen Advent.

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Maikind: „Wieso eigentlich schon Weihnachtsmarkt? Ist das nicht immer kurz vor Advent?“

Ich: „Nächste Woche ist Advent.“

Maikind: „Oh“

Auf dem örtlichen Weihnachtsmarkt werden die Portionsgrößen ausgewogen, dieses Jahr, es gibt keine Feuertonne und keinen Heizpilz – was aber auch daran liegen könnte, das es letzte Woche noch fast zwanzig Grad wärmer war. Man steht so mit Leuten, im Winter. Das ist auch mal wieder ganz nett.

„Und wenn das schön wird?“ Weihnachten 2021

Am 23. steht noch ein Termin im Kalender. Der Liebste übernimmt die Fahrt. 10 Minuten später kommt das Pluseinskind die Haustür rein. „Märzkind ist gerade nicht da“, sage ich. Weiß er, er schreibt gerade mir ihr. Die haben ein Reh angefahren. Och nö. Müssen wir da hin? Er fragt nach. Nee. Mit dem Auto ist alles gut, nur das Reh….

Eine viertel Stunde später steht das Märzkind in der Tür, Tränen in den Augen. Sie haben ein Reh… Ich weiß. Umarmung. „Und?“, frage ich. „Alles OK“, sagt der Liebste. Er war nicht schnell. Leider hat er das Reh trotzdem erwischt. Es lebte noch, konnte aber nicht mehr aufstehen. Da hat er jemanden angerufen. Hat kaum 10 Minuten gedauert, dann war der da und hat sich um das Reh gekümmert. Das Märzkind schluchzt ganz leise, der Liebste zieht die Luft ein, zwischen zusammengebissenen Zähnen. Er habe noch versucht, sich so hinzustellen, dass das Märzkind nichts sieht, aber gehört hat sie es natürlich trotzdem, und, ganz ehrlich, es war doch klar, dass da jetzt keine Tiernotrettung kommt, oder… Ja sicher. Aber…Das Pluseinskind übernimmt das Märzkind. Der Liebste erzählt mir die Geschichte nochmal unzensiert.


Kurz vor Weihnachten gibt es frische Coronaregeln, nicht das es langweilig wird. 10 Leute sind im privaten Bereich erlaubt. Äh, wir wären zwölf, Heilig Abend. Geboosterte und Kinder unter 14 zählen nicht. OK, dann sind wir sieben, und leicht verunsichert.

Der Liebste muss eh nochmal ins Städtchen und besorgt fünf Schnelltests. War etwas komplizierter als gedacht, und die Zeiten, in denen die 85 cent gekostet haben sind definitv vorbei, aber was solls. Bevor wir anfangen, den Tisch auszuziehen und Kleinmöbel zu verräumen, versammeln wir uns am Esstisch zum Test. Ich habe das tatsächlich noch nie bei mir selber gemacht und muss angeleitet werden. Jo, ist genauso widerlich wie die offiziellen Tests. Ich verziehe die nächsten fünf Minuten das Gesicht. Die Kinder finden das lustig, sie haben ja auf dem Teil des Hirns schon Hornhaut, sagen die Mädels. Wir überlegen kurz, so ein Biohazard-Tütchen mit Test drin an den Baum zu hängen. Letztes Jahr um diese Zeit, da hatten ja wir nix. Keine Tests, keine Impfungen. Der Liebste ist gedanklich schon beim Möbel rücken und räumt mit routinierter Geste den ganzen Rumms in die Mülltonne. Auch gut.


Der Weihnachtsbaum ist natürlich doch der Schönste. Da hat das Märzkind eine Begabung. Die Mädels haben geschmückt. Alle anderen haben sich rausgehalten. Frieden auf Erden.


Das Julikind guckt vom Weihnachtsbaum zum gedeckten Tisch zu den Geschenken auf der Anrichte und seufzt. Ich erkundige mich, was los ist. „Wenn das jetzt schön wird, Mama, müssen wir dann immer hier feiern?“ Äh, hä? „Weihnachten gehört doch eigentlich zur Oma ins Haus, dachte ich“. Naja, jetzt warten wir es erstmal ab, sage ich.


Ohne Weihnachtsgottesdienst kann es nicht Weihnachten werden, sagt das Märzkind, da müssen wir alle hin. Ich versuche mich rauszureden. Weihnachtsgottesdienste sind Fokloreveranstaltungen, damit kann ich nichts anfangen. Aber, es muss nichts mehr vorbereitet werden, alles ist fertig und die Gäste kommen erst danach, also gehen wir alle. Tja.

Heilig Abend ist Gottesdienst draußen, mit Maske, für alle. Offensichtlich wurde hier viel Zeit und Herzblut investiert. Das Kirchenportal wird festlich angestrahlt, es gibt einen Weihnachtsbaum, Laternen mit Kerzen, und echte Musik. Die Darbietenden singen mit solcher Inbrunst Weihnachtslieder, das ist mir zuviel. Ich bin froh, dass die Maske und die Dunkelheit mein Grinsen verbergen.


Es folgt ein auffallend entspanntes Abendessen mit anschließender Bescherung und Gemütlichkeit.


Schnee und blauer Himmel am ersten Weihnachtstag. Das Märzkind übernimmt die Hunderunde und muss dann los, zum Essen mit Schwiegerfamilie. Maikind verschwindet hinterm Bildschirm, Julikind hinter der neuen Staffelei, der Liebste hat Männerschnupfen des Todes muss aufs Sofa. Ich räume auf und wundere mich. Das Gefühl der Erschöpfung, dass normalerweise diesen Tag überlagert, es ist nicht da.

Nachmittags immernoch Schnee und blauer Himmel. Ein Spaziergang zu dritt mit Hund. Danach wieder Plätzchen, dann Jogginghose und Sofa. Perfekt.


Am zweiten Feiertag ist der Liebste genesen. Ein Leben ohne Schnupfen, herrlich. Ähm, er war gerade mal einen Tag kränklich, merke ich an. Es hat sich länger angefühlt, sagt er. Nachmittags kommt Schwiegermutter zum Kaffee. Der Klinikaufenthalt hat sich gelohnt, es wurde einiges auf den Weg gebracht. Schon jetzt kann sie wieder aufrecht gehen, mit der Aussicht auf noch mehr Verbesserung. Das freut mich. Paten vom Julikind kommen spontan dazu, ein bisschen Dorftratsch wird ausgetauscht, alles ganz gemütlich.


„Da freut man sich so lange drauf, und dann ist es so schnell vorbei“, sagt das Julikind am Abend. Sie könnte sich vorstellen, dass wir Weihnachten ruhig nochmal hier feiern. Das war eigentlich ganz schön. Jo, fand ich auch. Ich mag die Corona-Weihnachten lieber als die normalen, so leid es mir tut.

Advents-Start 21

„Wir hatten wenig Besuch in letzter Zeit, oder kommt mir das nur so vor?“, überlegt das Maikind beim Abendessen. Das kommt ihm nicht nur so vor, es ist so. Die Coronazahlen im Moment, man will sich gegenseitig nichts bringen… Oh, ach so, sagt er.

Das Robert Koch Institut, die Wissenschaftler der Leopoldina, alle bitten uns eindringlich Kontakte zu reduzieren, wo immer möglich. Ich höre und verstehe das durchaus. Gleichzeitig nehme ich die Stimmung der Kinder wahr. Kontaktreduzierungen sind uns nicht mehr möglich. Corona fressen Seele auf.

Solange Sport stattfinden darf gehen die Kinder hin, fertig. Das Märzkind ist auf eine Geburtstagsfeier eingeladen. Mir ist ein bisschen mulmig, aber ich sage nichts. Brauch ich auch nicht. Es sind nur ganz wenige eingeladen, alle geimpft und heute morgen getestet. Niemand möchte Lockdown mit Eltern riskieren.


Halsschmerzen beim Maikind die ganze Woche. Samstag dann schlimm genug für den hausärztlichen Notdienst. Ich werde gebeten, draußen zu warten, er ist ja schon groß. Zum Glück geht es erfreulich schnell, auf im Auto warten bei null Grad war ich nämlich nicht vorbereitet. Ein blaues Rezept hat er bekommen und den Rat, etwas kaltes zu essen. Jo, gut, dann ist es nicht so schlimm wie befürchtet und er kann Montag wieder in die Schule?, frage ich ihn. Woher soll er das wissen?


Die Uroma ist nicht geimpft. An irgendwas muss sie ja mal sterben, hat sie gesagt. Tja. Da hat sie wohl recht. Mit ihren 101 Jahren ist sie durchaus noch interessiert und informiert, das kann sie selber entscheiden. Aber: Was machen wir denn jetzt mit Weihnachten? Die Chance, dass sie nächstes Jahr noch da ist, ist 50:50, egal was wir tun oder lassen. Das Ganze mal etwas drastischer zu fomulieren hilft bei der Entscheidungsfindung. Wir können es uns mental nicht leisten, das irgendwer aus unserem Haushalt zum gefühlten Todesengel wird.

Vorsichtig erkundige ich mich bei der Schwägerin, wie deren Weihnachtsplan aussieht, wir hätten da eine leichte Tendenz in Richtung „so wie letztes Jahr“. Es dauert keine fünf Minuten, bis ich eine Antwort bekomme. Bei ihnen ist es genauso, „geht net anners“, machen wir uns nichts vor. Ich bin erleichtert, wir werden nicht die einzigen sein, die nicht hingehen. Der Rest wird sich finden.


Eine Hunderunde zusammen mit `m Vatta. Wir haben uns irgendwie länger nicht gesehen und tratschen, schlimmer als beim Seniorencafe. Ich weiß von einer Schwangerschaft und einer Verlobung im Bekanntenkreis. Er berichtet, dass sich jemand freiwillig hat einweisen lassen, wegen was psychischem. Hach, das war aber nett, da haben wir aber beide gleich beim Frühstück was zu erzählen, zu Hause.


Hallo Haus. Nur mal angenommen die Baumärkte würden für zwei Wochen schließen, was würde dir denn als erstes Fehlen? Tropft, quietscht, klemmt oder rostet irgendwo was Dringendes? Sieht nicht so aus.


Ich gehe trotzdem in den Baumarkt, weil ich eine halbe Stunde Wartezeit habe. Das Märzkind hat gerade so eine Duftkerzenphase, es wäre gut, einen Feuerlöscher im Haus zu haben. Es gibt welche mit Pulver und welche mit Schaum drin. Worin besteht denn der Unterschied? Ich frage nach.

Fachverkäufer: „Was möchten Sie denn löschen?“

ich: „Naja, ich plane nichts Konkretes. Sagen wir einfach mal, einen Weihnachtsbaum?“

Fachverkäufer: „Haha, einen Weihnachtsbaum, das ist gut, dann rate ich Ihnen zu diesem hier“

Ich nehme mittelgroßen Feuerlöscher entgegen.

Der Fachverkäufer hält einen Moment inne. „Sie meinten doch einen normalgroßen Baum in einem normalgroßen Haus, oder?“

ich: „Ja sicher, alles normal“

Fachverkäufer: „Dann ist der richtig“.

Der Liebste möchte zu Hause wissen, warum ich mich für diesen Feuerlöscher entschieden habe. Weil das der Richtige ist, natürlich.


Wann ich denn mal wieder einkaufe, fragt de Omma, verdächtig vorsichtig. „Ich kaufe jede Woche ein, was brauchste denn?“ Sie hätte da eine Liste mit Dingen, die sie zum Backen braucht. Der Vatta kauft für sie ein, normalerweise, das macht der auch gut und sie ist ja froh, aber mit dem Einkauf von Backzutaten möchte sie ihn lieber nicht behelligen. Den Vatta graust es vor dieser Liste, das weiß ich. Puderzucker, Zuckerstreusel, Orangeat, Zitronat, alles kein Problem, ich finde das, versichere ich der Omma.


Der erste Schnee fällt und schmilzt am gleichen Tag. Macht nichts, das gilt. Es hat geschneit. Der Liebste hat Spätschicht, auf was sollen wir warten? Julikind und ich gucken „Drei Männer im Schnee“ und teilen uns einen Mandelnougatriegel dabei. Der Film ist so alt, die Leute hatten damals noch gar keine Fernseher. Nach ein paar Minuten vergisst man aber, dass die Farben fehlen. Als der Abspann läuft krabbelt das Julikind unter der Wolldecke hervor. „So“, sagt sie, „dann ist es jetzt Advent“.

Ende November 2021

Es klingelt. Vor der Haustür steht ein riesen Paket. Der Paketbote sitzt schon wieder im Auto. In fünf Minuten kommen die Kinder nach Hause. Wo verstecke ich das denn jetzt auf die Schnelle? Auf dem Dachboden. Ich schaue mich suchend um. Irgendwas muss ich da drüber legen, obwohl, eigentlich, so wie es gerade da steht verschmilzt es geradezu perfekt mit dem rumpeligen Ambiente. Das war leicht.


Weihnachtsgespräche. Das Märzkind ist eingeladen, am ersten Feiertag, ob sie da denn zusagen kann, oder sind wir bei der Oma? Ich weiß es nicht. Diese Seite der Familie kommuniziert nicht. Ich finde, sie kann ruhig zusagen, wer zuerst kommt… Nee, sie würde da schon gern mit, wenn denn dann. Ich weise den Liebsten an, Weihnachtsinfos zu beschaffen. Wenige Tage später bekomme ich die Rückmeldung, dass Planung im Moment nicht möglich ist, aus Gründen, die zur Abwechslung mit Corona mal garnichts zu tun haben.


Ein Gottesdienstbesuch zum Ewigkeitssonntag. Danach auf den Friedhof. Auf dem Rückweg komme ich am Zigarettenautomaten vorbei. Da kaufe ich sonst jedes Jahr ein Geschenk. Jetzt brauche ich das nicht mehr.


Die Inzidenz liegt bei 210. Ich will nichts beschreien, aber, vermutlich wird es über kurz oder lang wieder Einschränkungen geben. Den Kindern gegenüber so zu tun, als wäre das nicht so, finde ich unfair. Ich spreche vorsichtig mit dem Märzkind darüber. Sie wird blass, aber eigentlich, das hatte sie sich auch schon gedacht. Einige aus ihrer Klasse machen Praktika in Grundschulen und Kitas. Da bekommt man ja mit, was gerade los ist. Sie haben in der Schule schon gefragt, wie es denn weitergehen würde, mit den Praktika, im Fall von Schulschließungen. Die haben gesagt „das wird nicht passieren“. Anscheind gibt es keinen was-wäre-wenn-Plan.

Doch, bei uns schon: Wer noch Geschenke zu besorgen hat, oder nochmal ins Kino möchte, oder so, möge das bitte für nächste Woche einplanen. Muttitaxi steht zur Verfügung und Taschengeldvorschüsse wären kein Problem. Möglichkeiten finden, statt mimimi. Jeder denkt bitte einmal darüber nach, wie man ein schönes Lockdown-Weihnachten feiern könnte. Nur eine Denksportaufgabe. Der ursprüngliche Plan gilt bis Heilig Nachmittag, mindestens.


Die Mädels wollten gern nochmal ins Schwimmbad. Wir sitzen mitten in den Blubberblasen und überlegen, wann wir zuletzt im Hallenbad waren. Vor zwei Jahren ungefähr, sagt das Julikind, könnte sein, sie hat recht. Es ist ein bisschen seltsam, dass man vorm Eintritt kontrolliert wird, aber, es scheint so, als wäre 2G ein Filter. Die Leute die drin sind halten sich so gut es eben geht an Abstände und begegnen einander freundlich. Beim Abendbrot ist es auffallend leise. Hat uns schwimmen früher auch so müde gemacht?


„Ach, und ab heute galt dann wieder Maskenpflicht“, sagt das Maikind beim Abendessen. „Stimmt, aber bei ihnen erst ab der dritten Stunde“, sagt das Julikind, die ersten beiden Stunden haben sie noch so gesessen. Wir sind lange über den Punkt raus, wo man sich über sowas wundern würde. „Na, das hat ja dann genau eine Woche lang gehalten, dieses Konzept“, sage ich. Schade. Aber leider sind die Zahlen so, dass man diese Maßnahme eigentlich gut findet.

Die Masken wärmen auch das Gesicht ein bisschen. Das ist praktisch, wenn man bei -2 Grad dauernt das Fenster aufmachen muss. Lüften ist auch im zweiten Coronawinter das Mittel der Wahl. Die Kinder sitzen im Kalten, das ist bedauerlich, aber nicht zu ändern. Energiekosten? Klimawandel? alles pillepalle wenn man dagegen den Aufwand betrachtet, den Anschaffung und Unterhalt von Luftfiltern in Schulen bedeuten würde. Ach, Deutschland.


Der Liebste arbeitet wieder und schafft sogar danach noch eine kleine Hunderunde. Hätte ich nicht gedacht, aber ich freu mich natürlich. Er hat was zu erzählen. An der Arbeit hatten sie heute fast ein Gasleck. Wie kann man denn fast ein Gasleck haben? Erkundige ich mich. Schön, dass es doch noch andere Themen gibt, außer Corona. Und so viele andere Möglichkeiten zu Tode zu kommen.


An der Laterne vorm Haus wurde die Weihnachtsbeleuchtung angebracht. Stimmt, es ist ja schon soweit. Normalerweise ist der Nachbar mit der beeindruckenden Balkonbeleuchtung immer der Erste. Da hängt bis jetzt nur ein leuchtender Stern im Fenster, der blinkt noch nicht mal. Ich hole die Kiste mit der Weihnachtsdeko vom Dachboden. Es fühlt sich so an, als hätte ich sie letzte Woche erst eingepackt.

KW45/2021

Wir haben das Jenke-Experiment geguckt, letzte Woche. Ich bin schon oft daran vorbeigefahren, aber drin war ich noch nie. Der Bioladen im Nachbarstädtchen bietet ein ganz anderes Einkauferlebnis als der Supermarkt. Die Preise sind allerdings auch andere. Da müsste man sich erstmal dran gewöhnen. An den Geschmack haben sich aber alle sofort gewöhnt, der Unterschied macht nur um so nachdenklicher. Ganz nebenbei ein Weihnachtsgeschenk gefunden, für die mit dem Ernährungsplan.


Zum Fäden ziehen fährt er selber, sagt der Liebste, das geht, da brauch ich nicht den halben Vormittag warten. Gut, dann müsste er allerdings auf dem Rückweg ein bisschen was einkaufen. Kein Problem. Zwei Stunden später kommt er wieder und trägt Einkaufstüten in die Küche. Seltsam. Ich gehe hinterher, um den Einkauf auszuräumen – ein Reflex. Normalerweise arbeiten wir problemlos zu zweit in der Küche, aber die gewohnten Abläufe sind eingerostet. Wir sind wie dieses Ehepaar aus den Loriot-Sketchen.

Wir rechnen nach. 12 Wochen waren das, die der Liebste auf dem Sofa hat verbringen müssen. Die ersten drei Tage waren richtig schön, sagt er.


Ich pflanze die Erdbeeren um. Das wollte ich eigentlich Ende August schon, ich freu mich, dass es erledigt ist.


Das Maikind wünscht sich was zu Weihnachten. Da muss er dem Christkind aber einen screenshot schicken, weil, so wie er das beschreibt, ich glaube nicht, dass das Christkind das kapiert hat.

Ich bestelle im Computerversand. Der Liebste sitzt neben mir und erkundigt sich, was der Junge sich gewünscht hat. Ich weiß es nicht. „Aber, du bestellst das doch gerade“, sagt er. Sicher, aber ich hab keine Ahnung, was das ist, die Beschreibung sagt mir nichts. „Wie sieht es denn aus?“ „Weißte noch damals, wenn man im Auto die Bedienleiste vom Radio abgenommen hat, damit das keiner klaut, so ungefähr.“ „Zeig mal“, sagt er. Ich drehe den Bildschirm. Er guckt eine Weile und murmelt „tatsächlich, keine Funktion erkennbar, ein Dings – sieht aber nicht so aus, als könnte man damit Uran anreichern oder so, oder?“ „Nein, also, da bin ich mir sicher“.


Corona-Inzidenz liegt wieder über 100 im Kreis. Hatten wir nicht im Frühjahr Ausgangsbeschränkungen, ab 100? Ich weiß es nicht mehr. Da war allerdings auch noch keiner von uns geimpft. Mein Bauchgefühl sagt, über hundert ist nicht gut. Andererseits ist unser Alltag im Moment so dicht dran an normal, wie schon lange nicht. Diese Woche waren Kinder auf drei verschiedenen Geburtstagsfeiern, einer Übernachtungsparty und im Schwimmbad. Es passt irgendwie nicht zusammen, vom Gefühl her.

Ich klicke mich weiter durch die Nachrichten. Mit ein bisschen über hundert stehen wir tatsächlich sogar ganz gut da. Thürigen hat eine Inzidenz von 470, Bayern über 800. Wottsefack! 15 Millionen Leute, die sich hätten impfen lassen können, haben gesagt „och nö, lass mal“. Das war mir nicht bewusst. Wenn die Weihnachtsferien wieder bis Mai gehen wegen diesem scheiß, dann krieg ich Explosion.


Elternbrief vom Kultusminister, er bedankt sich, dass wir alle so fein mitgemacht haben, beim Wiedereinstieg nach den Herbstferien. Das hat gut funktioniert. Ab Montag müssen keine Masken mehr am Platz getragen werden und es werden zwei Tests pro Kind/Woche gemacht. In Quarantäne gehen nur noch diejenigen, die positiv getestet wurden. Sollte das passieren, muss der Rest der Klasse für die nächsten zwei Wochen täglich getestet werden, und während des Unterrichts Masken tragen. OK, also das gleiche Konzept wie im letzen Herbst: Wir nehmen einfach an, dass all diese Kinder morgens um kurz vor acht auf wundersame Weise vorm Schultor erscheinen, und hoffen das Beste.

Drei Tage später: Ergänzung zum Elternbrief vom Kultusminister. Da haben sie jetzt nochmal überlegt, so richtig supi ist das aktuell doch nicht. Es bleibt bei drei Tests pro Woche für die ungeimpften. Ein Test darf nie älter als 48 Stunden sein. Eindringlich werden alle, die die Möglichkeit haben, gebeten, sich impfen zu lassen. Ich bin ein bisschen erleichtert.


Morgens um 10 liegt noch eine dünne Eisschicht auf den Pfützen im Tal. Winter is coming.

März, tadaa

Eine Stunde nachdem ich den letzten Beitrag geschrieben hatte, bekam ich einen Anruf. Der Praktikumsbeauftragte der Firma in der das Maikind gern Praktikum machen wollen würde bat uns, einen Lebenslauf zu schicken. Der Termin direkt nach den Herbstferien sei kein Problem, man gehe allerdings intern davon aus, dass das zu der Zeit eher nix wird. Er vermerkt lieber auch mal den Ausweichtermin.

Ich erhielt ein feedback für meinen vorläufigen Einladungstext und hatte die Idee. Jede Einladung bekam einen anderen Text, handschriftlich, mit Tinte auf Papier. Grundschulwissen der frühen neunziger, gelernt ist gelernt.

Außerdem bekam ich eine whattsapp mit den direkten Durchwahlnummern der Fachverkäufer im Modeladen des Vertrauens. Wir werden da was ausmachen.

Schwiegermutta wird für die eingeschränkt legale Party des Märzkindes ihr Gartenhaus zur Verfügung stellen. Das befindet sich im Moment in einer Art Dornröschenschlaf, wegen Situation, aber das ist kein Problem. Es müssen ja nur 5 Leute sitzen können, der restliche Platz ist für die Aerosole.

Der Liebste hat das Julikind von der Freundin abgeholt und guckt so traurig. Warum denn, frage ich. Auf der Rückfahrt sei er am Pommesgeschäft vorbeigefahren. Die haben aber montags Ruhetag. Das es sowas noch gibt, Begriffe wie montags und Ruhetag. Und dann ausgerechnet heute.

Naja, man kann nicht alles haben.

März, halbgar

Ich lese einen Herzchen-Roman aus dem öffentlichen Bücherschrank. Die Handlung ist angenehm vorhersehbar, manchmal braucht es sowas. Moment, das hatte ich doch schon gelesen. Vielleicht war das Lesezeichen rausgefallen und irgendwer hat es einfach irgendwo wieder reingelegt. Plötzlich macht die Handlung einen Sprung, da fehlt doch was. Ich blättere hin und blättere her und wundere mich. Es liegt nicht an mir. Zwanzig Seiten sind doppelt dafür fehlen die, die da eigentlich hätten sein sollen. Das hatte ich auch noch nie.

*

Es ist ein stürmischer Tag, man sieht kaum jemanden. Deshalb fallen uns im Vorbeifahren die drei Jungs auf. Sie sind im Grundschulalter und stehen im Kreis auf dem Bürgersteig. Anscheind versuchen sie, sich gegenseitig Windschatten zu schaffen. Ein Schal fliegt fast weg und wird etwas umständlich wieder um den Hals gewickelt. Dabei kann man es sehen. Etwas, das man schon so lange nicht mehr gesehen hat, das man zweimal gucken muss, bevor man es begreift.

„Samma, hat der Junge eine Pommesschale in der Hand?“, fragt das Märzkind ganz aufgeregt. Das würde ja bedeuten, dass das Pommesgeschäft wieder geöffnet hat. Das sind doch mal gute Nachrichten.

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Irgendwem ist wohl aufgefallen, dass die siebt- bis elftklässler schon ziemlich lange zu Hause sind. Da soll es jetzt mal voran gehen. Noch vor Ostern wird jede Klasse mindestens einen Präsenztag pro Woche bekommen, der übliche Elternbrief des Kultusministerims feiert dieses Konzept. Wenn man dem amtlichen Geschwurbel die Fakten entrissen hat bleibt folgendes übrig: Start am 22. März – das heißt, wir reden hier über genau zwei Präsenztage vor Ostern – es sei denn man erwischt den Freitag, dann wäre es nur einer.

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Wir sind eingeladen. Eigentlich hat der Liebste sich auf ein Bier verabredet und sich dann überlegt, dass ich da mit könnte, aber hej, wir sind eingeladen. Auf der Hinfahrt überlegen wir, wann wir denn das letzte Mal zu zweit alleine irgendwo gewesen sind, nicht zu Hause, ohne Kinder, ohne Hund. Das muss im Dezember gewesen. Im Dezember 2019.

Ein schöner Abend. Zum Abschied umarmen wir uns kurz, ohne dass irgendwer darüber nachdenkt.

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Meine Schwester ruft an. Sie hatte ja vor drei Wochen gesagt, sie ruft mich zurück. Ist das echt schon drei Wochen her? Egal. Ich habe gerade Zeit. Wir telefonieren fast zwei Stunden. Ihr Alltag hat sich durch die Situation kaum verändert. Sie haben zwei Urlaube gebucht. Eine ganz andere Welt, interessant.

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Eine mail wurde geschrieben und drei Nachrichten hinterlassen, bisher keine Reaktion. Man kann wohl davon ausgehen, dass diese Firma keinen Praktikumsplatz hat, im Moment. Wir überlegen, was sonst noch in Frage kommen könnte und machen eine Liste. Ich werde telefonieren. Andererseits kann ich mir das vielleicht auch sparen, so wie die Inzidenz im Moment steigt. Laut Klassenlehrer könnten da Änderungen kommen, auch ganz kurzfristig, die Schule entscheidet gar nicht selber, ob das stattfinden darf.

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Das Märzkind braucht Klamotten. Wirklich zum Anziehen, an shoppen zum persönlichen Vergnügen denkt ja schon lange keiner mehr. Die Läden haben zwar geöffnet, man muss aber vorher einen Termin vereinbaren. Einfach von einem Laden in den nächsten gehen, wenn man nichts findet, ist also nicht. Wo ist denn wohl die Erfolgsaussicht am größten, wer hätte denn wann Zeit? Was wird gebraucht? Es ist ein bisschen dringend, denn wenn wir wieder über 100 liegen, wird es dieses Angebot auch nicht mehr geben.

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Die Konfirmationseinladungen sind fertig gebastelt. „Du bist herzlich eingeladen, es sei denn, wir dürfen nur mit wenigen Leuten feiern, oder gar nicht. Vielleicht ändert sich der Termin oder der Ort oder die Zeit noch, dass wissen wir aber erst kurz vorher“ Ich bastele noch an der Formulierung.

20,21,22,23 Dezember

Ab Montag wird eine Ausgangssperre gelten, zwischen 21 Uhr abends und 5 Uhr. Der Hund darf aber noch, wenn er muss. Ansonsten will man um die Zeit sowieso nichts mehr draußen. Wobei, abends nach neun noch mit Glühwein durch den Ort laufen, gerade fällt mir auf, dass man das ja könnte. Sonst will ich das nie, aber wenn ich es morgen nicht mehr darf, dann tut es mir vielleicht leid. Und, ich wollte sowieso noch eine Karte einwerfen. Da mache ich jetzt aber mal Glühwein heiß, kommt jemand mit? In nebligem Nieselregen trinken wir Glühwein und Cola auf dem Dorfplatz und laufen eine Runde durch die Altstadt, also, den unteren Teil vom Dorf. Alles ist so schön beleuchtet, das sieht man garnicht, wenn man sich nach 18 Uhr immer nur drin aufhält.

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Nach dem Abendessen spielen wir noch irgendwas. Alle zusammen. Irgendwer nörgelt immer. Es geht hier aber auch nicht um Spass, sondern darum, irgendeine Art von Shutdown-Ritual zu finden, das den Abend einläutet.

Dieses Spiel ist ganz einfach, man braucht nur einen Würfel. Man darf so oft Würfeln wie man will, die Zahl der Augen wird addiert. Würfelt man eine drei, setzt das alles, was in dieser Runde bis jetzt erwürfelt wurde auf null und der nächste ist dran. Wer zuerst hundert erreicht gewinnt. 4,9,13,16nnaaargh Mist!

Ohne Absicht verbringen wir einen schönen Familienabend.

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Die Brille des Maikinds hat einen Knacks. Noch hält sie, aber keiner weiß für wie lange. Anruf beim Optiker, Termin ist kein Problem. Das Julikind bekommt auch gleich einen, sie sieht schon länger verschwommen. Wenn es jetzt die Möglichkeit gäbe, mal unter Menschen zu kommen, muss sie aber mal ganz dringend in dm, sagt das Märzkind. Der Liebste übernimmt die tour – alle verlassen das Haus. Ungewohnt. Mein Hirn spielt weihnachtliche Musik ein.

Haaaaallelujaaaaah, halelujah, halelujah, halelujah, haleeeeheeluujaaaah.

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Weihnachtsplätzchen sollen verschenkt werden. Der Gedanke kam mir Anfang November, etwas besseres ist mir bisher nicht einfallen, also ist das jetzt der Moment, in dem die gebacken werden müssen. Teig ist schnell gemacht. Ausrollen, ausstechen, rein in den Ofen, raus aus dem Ofen- ähm, da wo im letzten Jahr der Esstisch stand steht jetzt das Sofa. Um die Plätzchen sicher zwischenzulagern muss ich einmal halb durch die Bude. Aber wenn es einmal läuft, dann läuft es.

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Das Auto fährt vor, Kinder mit Einkaufstüten queren meine Laufrichtung. Blick auf den Plätzchenberg „du hast noch nicht gekocht, vermute ich mal?“ Nee, habe ich nicht… Einkaufstüten werden mitten in der Küche abgestellt. Das ist gerade ungünstig… Der Liebste berichtet mir im Vorbeigehen, er habe den Umschlag eingeworfen. Welchen Umschlag?, erkundige ich mich, während ich versuche mit dem heißen Blech durchzukommen, ohne jemanden zu verletzen. Na den einen, hatte ich doch gesagt, er solle den mitnehmen. Ach den, ja stimmt, ich hatte gesagt, wenn der fertig ist. Da fehlte doch noch die Karte, und die dazugehörige Geschenktüte….Chaos mit Zuckerglasur…

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Kurzer Schreckmoment. Hatten wir Kontakt zu den aktuellen Coronafällen? Nein. Obwohl – hatten wir Kontakt zum Kontakt? Ja, aber nein, alles gut.

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Lebensmitteleinkauf am 23. Dezember. Das war so eigentlich nicht geplant, aber nützt ja nichts. Ich ziehe den dicken Mantel an, falls ich auf einen freien Einkaufwagen warten muss. Auf dem Supermarktparkplatz stehen aber kaum Autos. Es gibt jede Menge Einkaufswagen. Alle Regale sind voll bis zum Anschlag, die Angestellen sind fröhlich, die Kassen alle geöffnet. Großeinkauf am Tag vor Weihnachten in 45 Minuten erledigt. Beim einräumen ins Auto überlege ich, ob ich mich freuen oder gruseln soll.

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Sich nicht zu treffen ist irgendwie auch nicht einfacher. Dieses Weihnachten macht mich auf seine ganz eigene Art müde.

Welche Geschenke müssen zusammen in eine Tüte um dann wann von wem wohin mitgenommen zu werden? Ich verliere die Übersicht. Vielleicht hilft es, alle Geschenke, die das Haus verlassen sollen, einmal auf einen Tisch zu packen. Tatsächlich. So findet sich schnell eine logische Anordnung nach Haushalten. Murmeld stehe ich davor, im Keller steht noch was, im Auto auch… „Wow“, flüstert das Julikind, und bleibt im Türrahmen stehen. Stimmt eigentlich. Das hatte ich so gar nicht wahrgenommen.

Spoileralarm!

Ich wünsche euch allen von Herzen das bestmögliche Weihnachtsfest!

Eine Woche vor Weihnachten

Drei Gäste sind gebucht, von Montag bis Donnerstag. Shutdown ab Mittwoch. Geht das? Ich dachte, es wäre eine ganz einfache Frage, finde aber keine klare Antwort. Man kann wohl mit Sicherheit davon ausgehen, dass das drei Haushalte sind. Sind die dann nach Feierabend privat regelwidrig zusammen? Baustellenbetrieb ist sicherzustellen…. ich glaube aber, das sind externe von irgendeiner Firma im Umkreis. Wottsefack, wenn die anreisen, beherbege ich die und fertig. Dann finde ich einen Bussgeldkatalog und denke alles nochmal von vorne.

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Die Klassenlehrerin bedankt sich, dass ich mich gemeldet habe. Das Märzkind soll bis zu den Feiertagen gar keine Aufgaben mehr machen. Gar keine, wirklich nichts. Für alle anderen wurden die Abgabetermine auch aufgeweicht. Man verstehe, dass diese Altersgruppe im Moment ganz besonders betroffen ist. Nur leider sind die Leherer auch alle am Anschlag. Das widerum kann ich gut verstehen.

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Dienstag kommen die Kinder schwer beladen mit allen Büchern nach Hause. Das Julikind wuchtet alles mit Schwung in den Ranzenschrank und macht die Tür zu. „Mittelferien – ich ziehe mir jetzt eine Schlabberhose an.“ Ferien sind eigentlich ab Freitag, kein online Unterricht. Weise Entscheidung.

Donnerstag morgen höre ich im Autoradio, dass sämtliche Lernplattformen zusammengebrochen sind. Ach was.

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Der Liebste bekommt seine „du kommst aus dem Gefängnis frei Karte“ zugeschickt, wie er es nennt. Zur Aufrechterhaltung des Betriebs ist seine Anwesenheit am genannten Standort des Unternehmens zwingend erforderlich. Wegen Mehrschichtbetrieb kann das auch nachts oder am Wochenende der Fall sein. Er dürfte raus, wenn es zu Straßensperren kommen sollte.

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Zwei Bleche Kokosmakronen hatte ich auf dem Herd abgestellt, damit sie abkühlen können, bevor ich sie in die Dose packe. Eine Stunde später wird keine Dose mehr gebraucht. Abendessen? Eigentlich haben sie noch gar keinen Hunger.

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Die Oma aus dem Städtchen bringt einen süßen Teller und Weihnachtskarten. Sie wird Heilig Abend nicht kommen, hat sie entschieden. Das muss und darf natürlich jeder für sich selber entscheiden, niemand nimmt da was übel dieses Jahr. Aber seltsam ist es doch für alle. Heilig Abend wird zeitgleich drin und draußen stattfinden. Plan D. Wir wurschteln uns legal durch.

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Die andere Seite der Familie hatte nur einen Plan A. Der ist dahin.

Wenn da jetzt irgendeine Art der familären Zusammenkunft gewünscht ist, dann müsste aber wahrscheinlich schon irgendwer mit irgendwem irgendwie kommunizieren, oder? Ich hatte ja gesagt, ich sage nichts mehr. Der Liebste ist trotzdem grummelig. „Mental load“ nennt man das, was später Weihnachtsmagie wird. Ich koche mir einen Tee, sage wirklich nichts und bin ein bisschen stolz drauf.

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Mit einem Blick und einem Kopfnicken werden wir eingeladen, mit auf den Friedhof zu gehen. Eigentlich wollten wir nur am Zaun stehen. Anwesend sein, ohne rechnerisch teilzunehmen, quasi. Diese Variante fühlte sich in unseren Überlegungen am wenigsten falsch an.

An diesem Grab haben wir schon mal gestanden, mit der gleichen Familie.

Stille.

Nach und nach geht jeder am Grab vorbei und bleibt dann allein am Weg stehen. Kein Händedruck, keine Umarmungen, der Weg zurück mit Abstand.

Beileidsbekundungen am Grab finde ich immer schwierig. Standartfloskel mit Händedruck, es hilft ja doch nicht, dachte ich immer. Das sehe ich jetzt anders.

Nach ein paar Sätzen smalltalk im Gehen verlassen wir die Trauergemeinde schweigend.

„Väter beerdigen ist scheiße“, sagt der Liebste.

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Der Landkreis hat eine Insidenz von 257.

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Meine Schwester entschuldigt sich für Heilig Abend. Sie habe diese Woche mit einer Kollegin im Büro gesessen, die sich mit Kopfschmerzen und Geschmacksverlust krank gemeldet hat. Die Grippe, hat der Hausarzt gesagt, kein Test notwendig. Aber, ganz ehrlich, wo sollte man denn bei diesem ganzen Hygieneaufwand eine Grippe her haben? Das ist zwar richtig blöd jetzt, aber sie halten sich einfach raus, dieses Jahr, es ist zu heikel, wenn da jeder sagt „ist egal, ist Weihnachten, was soll das dann noch geben…?“ Es ist blöd. Aber danke! Denn selbst mit eingeschränktem Weihnachtsprogramm hätte das noch Sprengkraft, wenn denn dann… hoffentlich nicht. Gedankengang Ende.

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Es wird eine Weihnachtsstation eingerichtet. Jeder Haushalt wird ein Tischchen mit Namen drauf bekommen. Geschenke können so kontaktlos ausgetauscht werden. Die Kinder sind mit der Oma zum Scheune fegen verabredet.

eingeschränkt besinnlich

Die Möglichkeiten, diese Nerf umzubauen sind vielfältig. Je nachdem wofür man sich entscheidet kann man schneller, weiter, lauter, mehr. Ich kenne mich da mittlerweile ein bisschen aus. So richtig springt der Funke allerdings nicht über, es mangelt mir an Leidenschaft bei diesem Thema. Das Maikind sollte eigentlich Übernachtungsbesuch bekommen, dieses Wochenende. Jemanden, der sich ernsthaft dafür interessiert und in der Lage ist, den Aufbau einer Nerf über mehrere Stunden im Detail zu diskutieren. „Luka, kommt nicht, der hat die Pumpe (Insulin) verstopft“, das Maikind ist geknickt. Mist. Also, ist mir schon lieber, dass das noch zu Hause passiert ist, aber, warum heute?

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Das Märzkind sitzt an einer Präsentation und verzweifelt. Mit all den anderen Aufgaben, die sonst noch übers Wochenende mitgegeben wurden hat sie noch nicht mal angefangen. Ich falle in den homeschooling Modus und versuche ihr zuzuarbeiten.

Dschibuti ist geografisch gesehen das Holland von Afrika. Es hat weniger Einwohner als Köln. 94 Prozent der Bevölkerung sind Muslime, gesprochen wird offiziell französisch und arabisch aber auch somali. Überlandfahrten macht man da am besten tagsüber und im Konvoi, empfiehlt das auswärtige Amt. Trinkwasser und Treibstoffreserven sollte man dabei haben. Es ist nämlich heiß und die Infrastruktur nicht so doll, die gehört aber sowieso den Chinesen, eigentlich. Kleidung und Decken sollte man vor Gebrauch schütteln, es gibt giftige Tiere.

Ich weiß nicht, ob man bei dieser googelei was lernt.

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Eine Joggingrunde mit dem Liebsten durchs Feld. Es ist neblig. Man hat die ganze Strecke immer nur ein und dasselbe Bild. Nebel. Dafür ist es aber nicht so kalt. Irgendwann verliere ich die Orientierung. Trotzdem, es zieht sich. Sind wir bald da? Tatsächlich, am Ende der Geraden steht das Auto. Er habe da ein bisschen geschummelt, sagt der Liebste. Ich hatte ja gesagt, so 6 Kilometer würde ich mitkommen, das waren gerade 7,5 km, ging aber doch gut, ne?

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Weihnachtsbäume gibt es ab 15 Uhr. Beide Mädels stehen fertig angezogen vor dem Haus. Ich hatte angedroht selber einen auszusuchen. Auf dem Weg zum Baumverkauf versuchen sie es ein letztes Mal: Der Baum sollte zwei Meter haben, wirklich. Eigentlich mehr, aber das gibt die Deckenhöhe ja leider nicht her. Zwei Meter sind durchaus üblich und angemessen. Nein. Wir haben Glück. Als wir ankommen bemängelt gerade ein Ehepaar, das „die mittlere Größe überhaupt nicht da ist“. Es gibt also nur normale Weihnachtsbäume und ein paar, die man in Wintergärten oder Kirchen aufstellen könnte. Ich richte alle normalen Weihnachtsbäume der Reihe nach auf, die Kinder laufen murmelnd drumrum und suchen den besten aus. Ins Haus holen wir ihn am 23. vorher nicht. Er könnte aber solange im Garten stehen, vom Küchenfenster aus könnte man sich dann schon mal freuen. Das würde gehen. „Aber nicht, dass da jetzt noch ein Vogel draufkackt“, sagt das Märzkind.

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Das Maikind kommt rein. Im Klassenchat haben sie gerade gesagt, ab Mittwoch schließen die Schulen, er wollte nur fragen, ob das stimmt. Ich weiß es nicht, halte es aber für möglich.

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Hausaufgaben- Verzweiflung. Ich ziehe die Notbremse und schreibe eine Mail an die Klassenlehrerin. „Ja, das kann man. Wenn du den Fuss verstaucht hättest würde niemand erwarten, dass du die 800 Meter läufst.“ Ich hoffe, dass der Vergleich mit dem verstauchten Fuss noch hinkommt.

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Der Vatta schickt ein Foto an die Enkel. Er hat den Baum schon geschmückt und feiert ab jetzt, wer weiß, was da noch kommt.

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Heißt dass, wir können garnicht Weihnachten feiern? Große Verunsicherung bei allen Kindern. Ich versuche die neuen shutdown- Regeln, die dann wohl ab Mittwoch gelten sollen, zu verstehen. Es ist nicht ganz einfach. Schulen werden schließen oder die Präsenzpflicht aussetzen, man darf sich an den Weihnachtstagen mit bis zu vier Personen treffen, die nicht dem eigenen Haushalt angehören, aber in direkter Linie verwandt sind, Kinder unter 14 werden nicht mitgerechnet, keine Böller zu Sylvester, Geschäfte, ausser Lebensmittel/Apotheken/Tierbedarf schließen.

Was heißt in direkter Linie verwandt? Man könnte Omas in beliebigen hotspots besuchen aber die Patentante aus dem homeoffice im Nachbarort darf nicht vorbeikommen? Wer will das denn kontrollieren?

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Es ist gerade mal halb elf an diesem dritten Advent und wir sind alle nervlich am Anschlag. Es braucht ein bisschen Struktur, damit wir einigermaßen heil durch den Rest des Tages kommen. „Schmorbraten gibt es in einer Stunde, danach gehen wir alle diesen Sternweg zur lebendigen Krippe und haben es scheiß besinnlich“ schreibe ich ihn die Familiengruppe. Niemand kommt augenrollend rein, kein kotzendes emoji, nichts. Die Lage ist ernster als ich dachte.

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Offiziell ersetzt der Sternweg den Gottesdienst und startet deshalb an der Kirche, wo ein Wunschbaum aufgestellt ist. Die Leute wünschen sich schöne Sachen, normale Sachen, und Dinge, die wir ganz selbstverständlich haben. Das verschiebt den Blickwinkel etwas.

„Schantalle, tu dat mä ma ei“, fällt mir dazu ein. „Schhhhhh“, sagt das Märzkind, aber sie kann wieder lachen. Deswegen waren wir ja hier.