Rosen aus Salami, KW 20/2023

Zwei leere Flaschen stehen neben der Kaffeemaschine. Ohne groß drüber nachzudenken packe ich sie ein und bringe Milch mit, von der Hunderunde durchs Feld. Äh, im Kühlschrank stehen noch zwei fast volle Flaschen. Merkwürdig, aber, wenn man so darüber nachdenkt, die zwei, die hier so regelmäßig mitessen, dass es Teil der Einkaufsroutine ist waren alle beide schon länger nicht da. Vielleicht läuft das Vor-Ferien-Chaos schon an.

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Oh, oh, für zwei Sekunden sieht es so aus, als würde ich gleich einen riesen Scherbenhaufen geliefert bekommen. „Müssen se n bisschen aufpassen, damit, die Palette ist im Arsch“, sagt der Lieferant. Er hat da eine von seinen noch mit drunter gepackt, sonst hätte man das garnicht transportieren können. Das ist nett. Ich hole mir die Schubkarre und mache mich daran, die Kartons von der Bordsteinkante in den Keller zu verfrachten. Nach zweimal hin und her ziehe ich mir Sportklamotten an, schwülwarme 26 Grad, morgens um elf, ausgerechnet heute, die Wolken werden immer dunkler, es grummelt. Nicht nur das Wetter. In die Kartons, in denen bisher geliefert wurden, haben wir nach der Ernte die vollen Honiggläser wieder reingepackt. Die Kunden nehmen die Kartons mit, quer durchs Land und bringen im Lauf des Jahres leere Honiggläser darin zurück. Ein Mehrwegsystem, quasi. Wo früher riesige Tackernadeln stabilen Kartonboden zusammenhielten, sind jetzt Klebebandstreifen auf wabbeliger Pappe. Diese Verpackung wurde für den einmaligen Transport leerer Gläser konstruiert, einige sind schon auf der Palette zerbeult. Ich hatte mich kurz gefreut, dass es garnicht so viel teurer geworden ist, wie erwartet aber, hätte ich eine Ahnung gehabt, was mit dem Begriff „Beispielbild“ in der Angebotsbeschreibung gemeint war, ich hätte das so nicht bestellt. Aaarggghhh!

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Innerhalb von einer Stunde bekommen wir einen halben Meter Schinken/Salami/Wurst-Aufschnitt-Brett-Reste und eine Torte geschenkt. Reste des Muttertagsbuffets und einer Geburtstagsfeier, nicht schaffbar, man müsste es wegwerfen. Soweit darf man es kommen lassen, sagen die Teenager. Bilder ähnlich einer Pinguinfütterung.

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„Ach übrigens, ich bin dann morgen auf einen Geburtstag eingeladen…“ Äh, jo. Ein Geburtstagsgeschenk für sofort, bitte. Das hatten wir schon lange nicht.

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Drei Brotdosen gefüllt, mit dem Hund bis an die Bank gewesen, Spülmaschine aus und Waschmaschine eingeräumt, eine Besucherin begrüßt, zwei Überweisungen getätigt, eine Elterntaxifahrt zur Schule (Klassenarbeit, Bus kommt immernoch 20 Minuten später als normal), alles noch vorm ersten Kaffee. Es geht wieder, stelle ich fest, obwohl ich gestern Kartons geschleppt hab, da ruhig mal einen Moment drüber freuen, denn das sah vor wenigen Wochen ganz anders aus.

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Am späten Nachmittag dann öffnet jemand die Tür und der „wind of change“ weht mir um die Ohren. Ein Drama. Nicht meines und eigentlich auch nicht überraschend, aber irgendwie halt doch.

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So sehr sich die Geschwister untereinander manchmal auf den Sack gehen – in der Not stehen sie zusammen. Jeder tut was möglich ist. Ein Hauch von freundlicher Rücksichtnahme weht durchs Haus, lauter nette Gesten und aufrichtige Anteilnahme. Ungewohnt. Fast gespenstisch, nach wochenlangen Vor-Prüfungs-Launen.

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Der Liebste hat überraschend den Feiertag frei und wünscht sich eine Vatertagswanderung mit seiner Familie. Die Blagen sind nicht begeistert, aber tapfer, danach wird gegrillt.

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„Warum liegt da eine angefangene Tüte Popcorn?“ „Hab ich nicht auf einmal geschafft…“ „Mmmhh“ Pause „Was klebt denn da?“ „Ein Namensschild, hat wahrscheinlich, ich lese Vor- und Nachname vor, hingeklebt“ „Naarha- und wieso steckt da eine Krone auf dem Rückspiegel?“ „Keine Krone, is n Diadem, falls jemand 18 wird, oder sonstige Anlässe“ „aha“ Julikind sucht Sinn während dieser Elterntaxifahrt, vergeblich. Märzkind und ich teilen dieses Auto, Menschen fahren mit, Sachen bleiben liegen.

warten auf Frühling, KW 11/23

Ein Wochenende lang überhaupt nicht vor der Tür gewesen. Das fühlt sich seltsam an, hat aber gut getan. Das Wetter war übel, ich hab mich über jede Hunderunde gefreut, die ich nicht machen musste. Montag morgen ist immernoch Winter, Mütze, Handschuhe… dann hatte ich drei Stunden drin zu tun, als ich das nächste mal vor die Tür gehe ist so dermaßen Frühling, das kann eigentlich garnicht sein, doch, sagt das Thermometer 16°C. Ich finds gut. Mittwoch morgen wieder Schneegestöber und kalter Winterwind aus allen Richtungen. Och nö. Geh doch zu Haaaauuuuseeeee duu alte scheeeeiße….

Aber immerhin, kurzes Vogelgezwitscher morgens und abends, merklich länger hell.

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Anruf der Pensionswirtin drei Häuser weiter, verschiedene Dinge haben sich in ihrem Belegungsplan geändert ob ich vielleicht… ? Eigentlich wollte ich erst im April wieder anfangen, aber ja, das geht. Spontane Saisonstart-Reinigung. Einmal Weihnachtsstern runter, Osterhase hin dauert drei Stundennur fürs Protokoll.

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Änderung der Streckenführung des Fahrradwandertags. Es wird kein Eis für 17 Leute in unserem Garten benötigt. Auf der anderen Strecke wurde eine Dornenhecke geschnitten und übelst Holz abgefahren. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich da jemand einen Platten holt liegt bei vorsichtig geschätzten 98,9%. Tja, wer das Abenteuer sucht…

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Da hatten wir tatsächlich zwei Wochen mal überhaupt keinen Kontakt, erst auf dem Weg zur Omma fällt mir das auf. Manchmal sieht sie den ganzen Tag lang niemanden, sagt sie. Tja, das kann ich gerade ganz gut aushalten, so leid es mir tut.

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Ein Berg an Muttizetteln liegt auf dem Esstisch, Wandertag, Kompo7, Girls day, windows-Kram. Ach, gäbe es doch nur eine Möglichkeit armen, überlasteten Lehrkräften die zeitaufwändigen Tätigkeiten des kopierens, der Verteilung, wieder Einsammlung und Kontrolle all dieser kleinen Zettelabschnitte zu erleichtern.

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Die dritte Runde Erkältung läuft an. Nicht so, dass man sich Sorgen machen muss, aber stören tut es doch. Halskratzen, Rotz, Gliederschmerzen, immer mal jemand anderes. Wann waren eigentlich das letzte Mal alle gleichzeitig gesund? So ganz allmählich müssten die Immunsysteme die Lockdownjahre eigentlich aufgeholt haben.

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Maikind guckt konzentriert aufs Handy, dass ist ungewöhnlich eigentlich spielt er morgens die paar Minuten, die er übrig hat mit dem Hund. Der Hund guckt mich vorwurfsvoll an. Ich weiß doch auch nicht was der da macht. Oh, sagt Maikind, er musste da noch gerade die Umfrage beantworten. Sein Kumpel plant den Vormetttag. Ich habs nicht so mit sozialen Netzwerken, bin aber bemüht, wenigstens meine whatssapp-Kenntnisse auf dem neuestem Stand zu halten. Was also ist die Umfrage-Funktion? Maikind erklärt es mir auf blödisch. In einer Gruppe kann jemand eine Umfrage starten und verschiedene Möglichkeiten zur Auswahlt stellen, beispielsweise Mettbrötchen/Mettbrötchen mit Zwiebeln/Fleischkäsebrötchen/Brötchen mit Fleischkäseaufschnitt. Wenn man dafür ist, klickt man drauf. Im konkreten Fall wird das als Bestellung gewertet, zwei Klicks entsprechen zwei Mettbrötchen. Verstehe. „Und dann am Ende fasst der Algorythmus das alles zusammen und schickt es an die Fleischerei?“, frage ich und meine es als Scherz. „Nee, leider nicht“, sagt Maikind und erklärt, warum und wie man lösen könnte. Äh jo, einfach programmieren ist für mich ein Widerspruch in sich, aber so ist es auch ziemlich praktisch, finde ich. Wir hatten ja nix, damals.

Nach den Ferien macht eine Schulcafeteria auf, dann darf man nichts mehr von ausserhalb bestellen. Schade eigentlich. Die Blagen haben ohne Cafetria viel gelernt.

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Eigentlich haben wir alle ausreichend Kürbisgerichte und Wintergemüse gehabt, diese Saison, Kochblockade. Der Liebste taut was auf. „Ich glaube, das ist garnicht zweimal das gleiche“, sage ich im Vorbeigehen. „werden wir sehen“ murmelt er, „warum haben wir sowas“ fragt ein Kind im Vorbeigehen, und versucht einen leicht angewiderten Gesichtsausdruck zu kaschieren, „weil wir restliches Essen nicht einfach wegwerfen“, sage ich, der Liebste nickt zustimmend „richtig“, „wir packen das in Gläser, tun es in den Froster, warten, bis keiner mehr den Hauch einer Ahnung hat, was es sein könnte, tauen es auf, stellen fest, dass es nicht mehr gut ist – und dann werfen wirs weg, ist viel nachhaltiger so“.

Leer, hinüber und ausverkauft KW9/10 2023

Den Weg zur Sockenschublade finde ich ohne Licht und nehme einfach irgendwelche. Im Bad öffne ich die Rollladen und blicke in eine Winterlandschaft. Fünf Zentimeter Schnee liegen schon und es schneit in dicken Flocken. Och guck, auf den Socken des Tages tanzt ein Lebkuchenmann mit Zuckerstange. Eigentlich ist März, aber ach komm geh weg.

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Dem Liebsten gehts nicht nur besser, sondern wieder gut. „Einfach so“, sagt er. Das freut uns natürlich alle. Aber „einfach so“ stimmt ja nicht. Die letzten sechs Wochen haben Spuren hinterlassen. Mein ohnehin schwacher Akku ist leer. Ganz dringend müsste ich mal eine Stunde alleine in einem Raum sitzen, vielleicht sogar anderthalb. Einen Film gucken, ohne dass jemand was von mir will, oder was lesen, oder was denken. Die Familie merkt, dass es mir nicht gut geht und reagiert fürsorglich. Muss denn noch irgendwas erledigt werden? Wäsche aufhängen vielleicht oder mal durchsaugen oder will ich vielleicht was trinken, brauche ich Gesellschaft, weil ich da so ganz alleine sitze? Der Hund wirft mir sein Spielzeug normalerweise schwungvoll vor die Füsse, wenn es ihm zu langweilig wird. Heute legt er es ganz leise neben mir aufs Sofa, wartet einen Moment, stupst es einen Zentimeter in meine Richtung, wartet, guckt so… Es ist kompliziert.

Der Liebste möchte mir eine Freude machen und erledigt in meiner Abwesenheit eine seit langem aufgeschobene Klempnerarbeit, fast. Es war klar, dass dieser Wasserhahn sich wehren würde, deshalb hat er direkt mit Kraft…ist dann abgerutscht und, was ich denn meine, ob er mit dem Finger zum röntgen? Wottsefack. „Äh, im Badezimmer ist die Spülung kaputt und im Gästeklo der Wasserhahn, sehe ich das richtig?“ ruft eine fragende Stimme von oben in den Hausflur. Jipp, genau so.

Dann, auf wundersame Weise sind tatsächlich alle mal unterwegs. Ich kann mehrere Arbeiten gleichzeitig anfangen, sinnig nebeneinander her laufen lassen und beenden. Wäsche zusammenlegen, nach oben tragen, in Zimmer verteilen schmutzige Wäsche nach unten tragen, saubere Wäsche, äh? hä?, die ist schon trocken? das kann doch garnicht… Oh ha. Jetzt isses soweit. Im geistigen Leerlauf hab ich einen kleinen, aber entscheidenen Zwischenschritt vergessen. Dreckwäsche wieder hoch tragen, vor der Waschmaschine auskippen, Waschmaschine öffnen, saubere Wäsche in den Keller tragen, aufhängen…

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Alle drei Kinder schreiben jeweils drei Klassenarbeiten diese Woche. Die Mädels sitzen schon eine ganze Weile lernend am Esstisch. Anscheind kann man sich im Hauptraum besser konzentrieren, als alleine am Schreibtisch. Maikind hatte tatsächlich mal Unterricht bis zur achten Stunde. „4,90 Euro kostet ein Cheeseburger jetzt, im Pommesgeschäft“, sagt er, ganz schön viel, wenn man gegenrechnet, wie lange man dafür Rasen mäht. Dann guckt er eine Weile vor sich hin. „Wir könnten ja mal eine Runde das neue Spiel spielen“, schlage ich vor. Jo, eine Runde, das würde wohl gehen, sagt er, und teilt aus. Ich gewinne, damit hatte niemand gerechnet, eine zweite Runde also. Der Liebste kommt von der Hunderunde zurück. Eine Runde würde er wohl mitspielen. Julikind verfolgt mittlerweile das Spiel, erkundigt sich nach Regeln, packt ihre Schulsachen ein, um mal eine Runde mitzuspielen. Märzkind verabschiedet sich Richtung Fitnessstudio. Wir könnten auch mit aufschreiben spielen, eine Runde. Zwei Stunden später hören wir auf, wegen Hunger, ist ja schon Abendessenszeit. Das war schön und hat allen mal gut getan. Uffpasse, hier kommt Werbung: SKYJO, ein unterhaltsames Kartenspiel, das logisch denkenden Taktikern und Chaosköpfen Spass macht, selten sowas, selber gekauft

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Elternchatnachricht am Wochenende. Vielleicht wäre es eine schöne Idee, zum Schuljahresabschluss einen Wandertag mit einer Übernachtung zu machen, da soll mal jeder seine Meinung sagen, bevor das in eine Planungsphase geht. Ganz kurz natürlich, also wirklich nur ganz kurz und sehr zeitnah, bitte. Übernachtung wäre im Camp der Sportjugend, Anreise per Fahrradtour und am Abreisetag könnte man die Eltern mit einbinden. Übersetzung: Jemand müsste eine Fahrradgepäcktasche von irgendwem ausleihen, das Fahrrad so herrichten, dass es offiziell verkehrstüchtig ist, den Fahhrradträger aufs Auto wuchten, das Kind mitsamt Fahrrad und Gepäck am morgen zur Schule bringen und am nächsten Tag woanders wieder abholen, zum Schnapperpreis von 65 Euro. Rücksprache mit dem Julikind. Wir erinnern uns beide noch sehr gut daran, dass es am Ausflugstag vor einem Jahr 42°C warm war, wenn das wieder so wäre, hätte sie keine Lust, ansonsten klingt das gut. Wenn niemand so richtig Lust darauf hat und ich das jetzt sofort in einem emoji entscheiden muss…Daumen runter. 6 weitere Daumen zeigen nach unten, 7 andere nach oben. Man darf gespannt sein. Julikind kommt von der Schule und freut sich. Den morgen, wenn der Wandertag ist, braucht sie gar keiner zur Schule bringen. Die Strecke führt quasi an unserem Haus vorbei. Man wird eine Pause machen und Eis essen, bei uns im Garten, und sie kann dann von hier aus mitfahren. „Eis für 17 Leute, dann, ne, Mama?“ „Äh, hä? Ja nee, sicher, kein Problem“. Es wird Sekt geben, an dem Tag, an dem ich den letzten Elternchat löschen kann, oder Whiskey.

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„Nu sag was“, sage ich und zeige auf meine Füsse. „Oh, neue Schuhe, garnicht gesehen…“ Der Außendienstler ist modisch maximal desinteressiert, die neuen Schuhe sehen genau aus wie die Alten, dass er trotzdem auf den ersten Blick einen Unterschied bemerkt, sagt eigentlich alles. Der Freundeskreis brauner Ökoschluffen kennt seine Mitglieder. „… was ist mit den Alten? War die schwarze Sohle schon runter?“ „Nee, nee, war noch die ganze Sohle schwarz, die Korkschicht ist rausgebröselt…“ „Nja“, sagt er in aufrichtiger Anteilnahme, „…wenn Kork bröselt isses soweit, da machste nix dran…aber, es ist doch immer ein Abschied“ So isses. Die neuen waren übrigens deutlich teurer als ihre Vorgänger, da merkt man mal Inflation und so… aber nützt ja nix.

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Im Baum vor dem Fenster sitzt ein Vogel, er bewegt den Schnabel und sieht fröhlich aus, als würde er zwitschern. Man hört aber nix. Das neue Fenster ist drin. Allmählich wird deutlich, wie kaputt das alte wirklich war.

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Wochenlang hat niemand nach Honig gefragt, ich muss tatsächlich mal im Keller gucken, ob noch welcher da ist. Punktlandung. Die letzten nicht reservierten Gläser verlassen das Haus. Dann innerhalb eines Tages, eine Anfrage per Telefon, eine an der Haustür. Es tut mir leid. Per whattsapp Status informiere ich die Welt, das wir leider ausverkauft sind, weil wir gar kein Schild mehr an der Straße haben, dass man abnehmen könnte. Ich hatte mit keinerlei Reaktion gerechnet und bin ehrlich überrascht. Es erreichen mich Nachrichten, von Leuten, die noch reservierten Honig haben und versichern, den zu holen (nicht, dass ich da Zweifel gehabt hätte), von Leuten, die geplant hatten, demnächst welchen zu holen und sich gerade über sich selber ärgern und erste Vorbestellungen. War sehr nett, hab mich gefreut. Sobald der Schnee weg ist gehts los.

KW 39/40/41 2022, herbstliches

Drei Tage Erkältung. Ich hatte ganz vergessen, wie das ist, und leide wie ein Mann. Am vierten Tag, alles wieder gut. Einfach so.

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Drei Termine an einem Tag, die Zeiten überschneiden sich etwas, werden angepasst und dann als gerade alles hinkommt, werden alle drei nacheinander abgesagt. Leicht verwirrt stehe ich vorm Kalender und frage mich, was ich heute eigentlich ursprünglich vorgehabt hatte.

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Dass die Flitschbimmel nicht einfach so TÜV bekommt, war klar. Ein Birnchen ist kaputt und irgendwas muss wieder angeschweißt werden, sagt der Liebste. Ich hatte mit Schlimmerem gerechnet und fange an, mich richtig zu freuen. Leider zu früh. Ein Steinschlag im Sichtfeld muss gemacht werden. „Hä? Ein Steinschlag im Sichtfeld? Das hätte ich doch wohl bemerkt.“ Nee, hat er auch nicht gesehen, sagt der Liebste aber nützt ja nix. Der Prüfer meinte, man könne das für kleines Geld reparieren lassen. Bei ATU haben sie gesagt, im Sichtfeld geht das nicht, die Scheibe muss getauscht werden. Ein Schweigemoment. Totalschaden, wenn man ehrlich ist. Andererseits, „wenn der TÜV-Prüfer nicht weiß, dass man das da nicht reparieren darf… amArschdieRäuber… ich gucke jetzt carglas24punkt welche Endung hat Rumänien?“ „Aah nee weißte was…“ der Liebste murmelt und telefoniert. Am übernächsten Tag fährt er mit meinem Auto zur Spätschicht, parkt und als er nach acht Stunden wieder kommt, ist eine neue Scheibe drin. Magie.

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Maikind sieht dem Abgabetermin seiner Hausarbeit tiefenentspannt entgegen. Ich eher nicht. Ausflug in die Bücherei. Ich lerne verschiedenes über die Erdathmosphäre und bin eine Quelle der Inspiration dabei. Maikind lacht herzlich über meine Erkenntnisse. Das man sowas von überhaupt keine Ahnung haben kann war ihm nicht bewusst, vielleicht muss er seinen Vortrag doch anders angehen.

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Zwei Elternabende. Einmal „mimimi-Lernrückstände, mimimi-Lehrermangel“ und einmal „gerade alles ein bisschen scheiße, aber wir versuchen für jeden das Beste rauszuholen“. Insgesamt sehr aufschlussreich.

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Es läutet wieder. Das freut mich, denn es taktet den Tag, ohne dass ich auf die Uhr gucken muss.

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Man möge auf unnötige Weihnachtsbeleuchtung verzichten, sagen sie in den Nachrichten. Es gibt eine mindest notwendige Menge an Weihnachtsbeleuchtung? Witzig, das wußte ich garnicht. Die Kinder erkundigen sich vorsichtig, ob es denn in diesem Jahr einen Baum geben wird, so mit Lichterkette. Ich kann sie beruhigen. Durch meine Grinchigkeit sind wir der Zeit voraus. Wir fahren das volle Programm. Weihnachtsbaum mit Licht, Stern im Fenster und das Adventsschwein bekommt vier Kerzen in den Rücken, die hab ich sogar schon gekauft.

Könnte natürlich sein, dass im Dorf weniger beleuchtet wird. Zur Not würden wir dann statt Lichterspaziergang Glühwein im Dunkeln trinken.

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Das Blackout Geraune macht mich unruhig. Ich schaue mir ein youtube Video zur Krisenvorsorge an. Ein Großstadtpapa zeigt seinen Notfallraum und erklärt, was da warum drin ist. Sein worst case Szenario beschreibt meinen Alltag. Es kommt hier tatsächlich hin und wieder vor, dass man mehrere Tage hintereinander nicht zum Einkaufen kommt, oder nach einem Sturm irgendwas weggeräumt werden muss. Was er als Krisenvorsorge und Notfallraum bezeichnet, nennen wir Wocheneinkauf, Speisekammer, Garage und Verbandskasten. Tja.

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Der Liebste hält sich an der Türklinke fest und hustet dramatisch. „Da schlafen zwei Teenager und der Hund…man atmet ein, öffnet die Tür, macht vier Schritte, öffnet das Fenster, macht vier Schritte, schließt die Tür und atmet aus“ erkläre ich. Der Liebste wedelt so mit der Hand, und röchelt ein „vergessen“. Es macht schon Sinn, dass man eigentlich nicht länger als 19 Tage am Stück arbeiten darf.

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Ein sonniger Oktobertagnachmittag, bunte Blätter auf dem Boden, Pilze im Moos, es riecht nach Herbst im Wald. Gefühlter, gesehener und tatsächlicher Oktober zur gleichen Zeit, das ist schön.

Die Grünfläche im Garten, die wir als Rasen bezeichnen, war nicht nur steppig vertrocknet, die war durchgebacken, genauso hart wie die Pflastersteine. Ich hatte gedacht, wir müssen die neu säen, oder als Ascheplatz nutzen. Erstaunt stelle ich fest, dass sich das Gras erholt. Irgendwer wird nochmal Rasen mähen müssen, dieses Jahr.

„Die Brombeeren müssten geschnitten werden“, sagt de Omma, ich stehe daneben und nicke „ganz unbedingt müssen die geschnitten werden“ Eine Weile kann ich noch so tun, als hätte ich das nicht gehört.

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„Wieso ist es hier eigentlich so warm?“ erkundigt sich meine Schwester. Sie wollte ja nichts sagen, sagt die Gästin und krempelt die Ärmel hoch, aber, dass fragt sie sich ehrlich gesagt auch schon seit über einer Stunde. „es sind 22° im Raum, ich dachte, das wäre angemessen…“ „Boar nee, so eine Affenhitze, das ist man nicht mehr gewohnt, heizt ihr etwa schon?“ „Ne, so normal natürlich nicht, ich wollte gastfreundlich sein“, sage ich und öffne die Zimmertür.

KW 37/38 2022

Morgens um kurz nach acht wabert noch Nebel durch den Wald. Es ist herbstlich, auf die schöne Art. „ding. ding.“ Vom Dorf her hört man die Totenglocke, zwei Schläge nur. Das ist seltsam. Stille, dann läutet die normale Glocke, fünf Sekunden lang. Als ich noch dabei bin mich zu wundern, röhrt irgendwo im Tal ein Hirsch. Der Hund guckt mich fragend an „ok, du hast das auch gehört“ murmele ich und bin ein bisschen erleichtert.

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Eine gemeinsame Hunderunde war geplant, schon länger. Endlich hats geklappt und ich hab mich richtig gefreut. Der Hund auch. Sofort fröhlich losgespielt, als würde er die Dame schon ewig kennen. Herzliche Grüße.

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Als wir los sind haben sie mich ausgelacht, weil ich mir Handschuh eingesteckt habe, jetzt hätten sie selber gerne welche. Wir verabschieden uns vom Hoffest. „Das war fast wie Osterfeuer. Nur, beim Osterfeuer war vorher Winter und man ist entsprechend angezogen, und wenn man dann sowieso schon ein bisschen müde ist…“ sagen wir uns gegenseitig beim Zähne putzen, Freitag abend um zehn…

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Nach sechs Wochen wird das bestellte Bauteil für unsere Heizung geliefert. Juhu – halt, doch nicht. Richtiges Teil aber völlig falsche Größe. Der Außendienstler telefoniert mit der Servicehotline und wird ein wenig emotional, dabei. Der Versand des richtigen Teils wird drei bis fünf Werktage dauern sagen sie, wie beim letzten Mal. Ich rechne mit voll funktionsfähiger Heizung ab Mitte November. Fünf Tage später ist das richtige Teil da, wir bauen es ein. Also, der Außendienstler baut und ich halte die Taschenlampe, reiche Werkzeuge an und koche Kaffee. „Man darf da garnicht drüber nachdenken“, sagt er, „Baumaterialien werden einfach irgendwann geliefert, im Moment – oder auch nicht.“

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Pflaumen, Birnen, Brombeeren wurden geerntet und verarbeitet. Die Tomatensaison neigt sich dem Ende. Es war eine gute, muss am Dünger gelegen haben, und hunderten Litern Wasser, die wir reingetragen haben. Nach dem Regen sehen die Beete nicht mehr ganz so traurig aus, aber ernten werden wir da wohl eher nichts.

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Ein paar Gedanken-Dinge dröseln sich auf. Wo vorher „narrrghh“ war zeigen sich Möglichkeiten. Das ist erfreulich.

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Abgabe der Hausarbeit in drei Wochen? Ich dachte das hat Zeit bis Mitte November. Das Thema wurde doch letzte Woche erst offiziell genehmigt? Sowas könnten die eigentlich mal im Elternchat, oder per Email…Beim Maikind liegen die Nerven blank. Wie soll der Text aussehen, wie macht man korrekte Quellenangaben? Ich weiß das leider auch nicht. Als die große Schwester ihre Arbeit geschrieben hat, gab es vorher Unterricht, indem sowas erklärt wurde, damals, vor zwei Jahren. Märzkind hilft mit gutem Rat. Ein Hauch von homeschooling weht über den Flur.

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Ein Buffet für 300 Leute, ich stehe davor und bin kurz überfordert. Zwei Mädels im Kindergartenalter stehen neben mir, denen gehts genauso. „Booaaar“ sagt die eine, als sie den gut gefüllten Donutbaum sieht. Die andere zupft sie am Ärmel und deutet mit leuchtenden Augen in Richtung der candy bar. Ein kurzer Rundumblick, kein Erziehungsberechtiger in Sicht, leichte Entscheidung. Ich esse erstmal „was gescheites“. Der Arbeitgeber des Liebsten hat alle Mitarbeiter eingeladen, mit Familie, leider nur Kinder bis 14 Jahre. Wir schicken den Blagen ein Foto vom Spießbraten über dem riesen Grill, dann haben sie auch was davon, höhö.

Ich kenne niemanden und hab auch keine Ahnung, über was sie sich unterhalten. Einfach sitzen und mir die Leute angucken, das ist auch mal schön. Obwohl, vom hören sagen kenn ich doch einige. Es ist nämlich nicht nur die Arbeit, sagen die Herren. Würde es diese Firma nicht geben, würde ein ganzer Direktvermarktermarkt zusammenbrechen: Eier, Honig, Kartoffeln, Fleisch, wird alles hier auf dem Parkplatz umgeschlagen.

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Ein Festgottesdienst im Wald, bei windigen 10 Grad und Nieselwetter überfordert mich modisch. Vorsichtig erkundige ich mich, was denn die anderen anziehen? Schicke Jeans und dicke Schuhe, alles andere macht ja keinen Sinn. Das ist ziemlich genau das, woran ich auch dachte. Ich besitze allerdings nur eine einzige schwarze Hose – für Beerdigungen. Das geht nicht, vom Feiergefühl her, stell ich fest. Der Gottesdienst findet nicht im Wald, sondern auf der angrenzenden Wiese statt. Man hat herrliche Fernsicht, hört wunderschöne Musik, eine fröhliche Erntedank & Taufpredigt und hofft die ganze Zeit, es möge schneller gehen, damit man aus dem kalten Wind raus kann. Ich bin dann durch, mit outdoor-Gottesdiensten, bis Mai oder so. Aber, ich bin auch wieder eine Patentante, und das ist doch wirklich mal was Schönes.

Letzte Augustwoche 22

Ich hab den Schreiner am Telefon. Er entschuldigt sich, drei Bestattungen in zwei Wochen…. aber natürlich hat er uns nicht vergessen. Kein Thema. Ich wußte garnicht, das diese Baustelle schon angelaufen ist und man wartet ja viel lieber auf Fenster als auf den Bestatter.

Nach dem Ausmessen gibt es zwei Möglichkeiten. 20% teurer werden die Fenster in jedem Fall, mindestens, das ist klar, da kann keiner was dran machen. Er kann uns ein Angebot schreiben, wir überlegen und sagen bescheid – oder er bestellt jetzt, und meldet sich kurz wenn der Auftrag bestätigt wird, dann könnten wir noch abbestellen. Die zweite Variante wäre vorraussichtlich vier Wochen schneller. Die Fenster müssen neu dieses Jahr, alles andere wäre energetischer Wahnsinn, es ist Ende August. Go!

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Julikind guckt so und denkt sich offensichtlich was. Dann hält sie mir ihre Gabel hin und fragt, ob ich das mal bitte probieren könnte. Irgendwas stimmt mit diesem Salat nicht. Moment, gestikuliere ich, weil, ich esse ja selber gerade. Märzkind ist schneller. „Apfel“, sagt sie. Julikind ist endgültig verwirrt „warum sollte jemand einen Kartoffelsalat mit Apfel drin machen?“ „Ich esse gerade etwas, das könnte Eiersalat mit Weintraube sein. Und, wenn ich drüber nachdenke, in dem Salat, den ich gemacht habe sind Rosinen drin.“ „Sind halt viele Sportler hier“, sagt Märzkind. Julikind schüttelt den Kopf, 6 Meter Salatbuffet und sie erwischt sowas. Die Freundin sagt, sie habe Mettsalat gemacht, ganz normales Essen, da soll das Julikind mal Ausschau halten.

Der Triathlet feiert Geburtstag. 150 Leute verteilen sich in der Halle und auf dem Grundstück drumherum. Irgendwann fällt mir auf, dass sich das alles total normal anfühlt. Wie früher. An der Wand neben der Theke hängt noch ein Schild auf dem „Lebensmittel“ steht, auf deutsch und ukrainisch vermute ich, die Buchstaben kann ich nicht lesen. Vor ein paar Wochen wurden hier Hilfsgüter vorsortiert und verladen. Auch schon ewig her.

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Öl getankt. Schweigeminute, im Gedenken an all die schönen Sachen, die man sonst mit diesem Geld noch hätte machen können. Aber eine warme Wohnung ist natürlich auch was tolles, also, warm im Sinne von angenehm temperiert, nicht dieses warm nach drei Tagen 38° draußen. Hach es ist irgendwie knifflig, dies Jahr.

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Hin und wieder war ich in den letzten Wochen abends auf dem Friedhof zum Gießen. Opas Todestag hab ich in den Kalender geschrieben – aus Gründen *hüstel*. Am frühen Nachmittag klingele ich bei der Omma und frage, ob sie vielleicht auf den Friedhof will. Weiß ich natürlich schon, aber so gehts schneller. Das ich daran gedacht habe, mensch, da freut sich. Schuhe an und los gehts.

Das Treppengeländer am Friedhof ist so heiß, man kann es immer nur kurz anfassen. De Omma nimmt schnell eine Stufe, macht eine wedelnde Handbewegung und sagt „du meine Güte“. Als sie unten ist sieht sie mich grinsen und muss selber lachen. Leider gibt es nur eine Gießkanne und die trage ich. Hätte es eine zweite gegeben, die hätte sie aber getragen, sagt die Oma. Ich murmele. Den Hang runter Richtung Grab geht es flott. „Och, dät süht aber noch ganz godd uut“, murmelt sie. Ich klopfe mir innerlich selber auf die Schulter. Das war er, der Moment. Ab jetzt kann das alles verdaddern. Der Rückweg dauert etwas länger. De Omma guckt mal, was die anderen so…

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Da hat der Liebste mal fühlen wollen, ob das Reifenprofil gleichmäßig abgefahren ist und sich dabei den Finger an einem Draht aufgerissen. Ohne zu Beschleunigen oder gar zu Bremsen ist er dann von der Arbeit aus direkt zum Reifengeschäft gefahren. Ich sage nichts. Aber ich kann so gucken, dass er weiß was genau ich nicht sage.

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„Ich hab mir immer gesagt, wenn ich an der Arbeit heule, dann höre ich auf. Am Wochenende wars soweit.“ Wir schweigen einen Moment. Die Freundin überlegt, wie ernst sie das gemeint hat. Alle Reserven sind verbraucht und es gibt kein Licht am Ende des Tunnels. „Es wird wohl in Zukunft so sein, dass mehr Leute sterben, weil man schlicht keine Zeit hat, sich so zu kümmern wie es nötig wäre, oder jemand einen Fehler macht.“ Krankenhäuser sind kein guter Ort im Moment.

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„Oh, ist aber frisch heute“, sagt Julikind, als sie zum Mittagessen in den Garten kommt. Wir haben 25°C. Anscheind gewöhnt man sich doch an Hitze.

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Wenn das nächste AS-Taxi ausgebucht ist, tja, dann muss man halt eine Stunde warten. Wenn das übernächste auch ausgebucht ist, das ist dann schon doof, wenn die nächsten fünf Fahrten ausgebucht sind, dann gibts quasi keinen öffentlichen Nahverkehr. So gesehen ist es garnicht schlimm, dass das neun-Euro Ticket endet, bevor die Kinder wieder wirklich auf die Fahrten angewiesen sind.

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„Es geht wieder los“, sagt der Liebste. Jo, ist doch voll nett von den Ölkonzernen, dass sie schon ein paar Tage vor Ende des Tankrabatts anfangen uns wieder an die Preise zu gewöhnen. An der Dorftankstelle kann man jetzt bis 100 Euro tanken, früher waren es 80. Ich bin da tatsächlich nur zum Tanken hingefahren, 12 km hin und zurück, eine Investition.

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Ein Ausflug zum längsten Spielgerät Europas, da waren wir schon ewig nicht. Den Ninja-Parcours seh ich zum erstenmal. Nebeneinander wurden zweimal die exakt gleichen Klettergeräte aufgebaut, den ganzen Berg hoch. „Das ist so gedacht, das man da um die Wette“, sagt ein etwa fünfjähriger Junge in staubiger Hose. Julikind nickt. Der erste Abschnitt ist für Menschen gebaut, die 1,20m groß sind. Garnicht so einfach. Der zweite Teil ist für Julikind perfekt, für mich eine Herausforderung, aber machbar. Der dritte Teil „och ähm, weißte, ich glaube ich gehe hier einfach am Rand lang…“ sage ich zu der achtjährigen die mir netterweise ihre Hand anbietet. Denn, sind wir mal ehrlich, selbst mit Anlauf und helfender Hand ist die Chance, dass ich mich diese 2,50 hohe Bretterwand hochhieve gering. Nach anderthalb Stunden haben alle genug. Abschluss im Kleinkinderbereich. Da kann man Wasser pumpen und Kies baggern. Und weil wir mittlerweile fast alleine sind auf dem Spielplatz machen sogar die beiden 15 jährigen mit. Schade, dass es sowas früher nicht gab. Wir hätten hier tagelang auf der Bank sitzen können, sagt die Freundin.

KW 27/28 2022, Vor-Ferien

Abends um zehn ist es ungewohnt still im Haus. Die Spätschicht- Kinder schlafen alle woanders.


Ich bringe Märzkind zur Fahrstunde und gehe einkaufen. Während ich die Einkäufe einräume ploppt eine Nachricht vom Julikind auf, ob ich denn schon am Bahnhof bin? Oh ha, Blick auf die Uhr, nee, das kann nicht sein. Ich werde in etwa drei Minuen da sein, schreibe ich.

Am Bahnsteig stehen auffallend viele Leute. Ich bleibe einfach an der Treppe stehen, es ist der einzige Weg raus, das Kind wird mich finden. Dann winkt mir jemand fröhlich aus der Menschentraube und ich gehe doch bis an den Bahnsteig. Ach guck, dass sind alles Eltern – und Geschwister – und Hunde?, der Klassenfahrt-Kinder. Der Zug kommt und es gibt ein Riesengewusel. Julikind sieht mich, kommt mit der riesen Reisetasche angerollert, kurze Umarmung, „schön, dass du wieder da bist“, „tschüssi tschüssi“ in alle Richtungen und auf zum Auto. Als letzte hin, als erste weg, so holt man Drittkinder ab.

Wir haben noch über eine halbe Stunde Wartezeit zu überbrücken, bis die Fahrstunde um ist. Man könnte ein Eis essen – oder auch nicht. Es haben tatsächlich alle Eisdielen geschlossen, an einem Freitag abend um 19 Uhr, im Juli. Kurz überlegen wir, zurück zum Rewe zu fahren, da gibt es noch Eis, abends, aber so dringend ist es eigentlich nicht. Wir parken vor der Fahrschule und spielen Uno im Auto.

„Sylt ist eine Angeber-Insel“, sagt Julikind, „die schreiben „Sylt“ wirklich überall drauf. Flaschenöffner, T-Shirts, Kaffeetassen, es ist fast peinlich. Aber schön ist es. Sehr schön sogar. Es wäre eigentlich gut, wir da ein Ferienhaus hätten, vielleicht so ein großes, mit so einem Dach, hinter den Dünen….“ Ähm, jo.


„Bestimmt krieg ich tierischen Durchfall davon“, sagt Märzkind, „aber – das ist es mir wert“. Sehe ich genauso. Zwei Eimer voll mit wunderschönen Kirschen stehen in der Küche und die sind sowas von lecker. Alle essen, soviel wie geht, den Rest koche ich ein. Ein Hauch von Sommer für schitterige Herbst- und Wintertage. Ein herzliches Dankeschön geht über den Zaun, wir haben uns echt gefreut.


„Samma, du hast doch genullt, oder nicht?“ „Ja, ist aber keine große Sache gewesen“ „Wußte ich`s doch, ihr wart ein Jahrgang“. Geburtstags-Glückwünsche,von Herzen, eine Umarmung, wir atmen beide einmal durch und schlucken. Jemand fehlt. Auch hier. Fast wäre es rührselig geworden, aber „Nu komm“, die Familie schmilzt im Auto. Das Leben geht weiter.


Das Vor-Ferienprogramm läuft. Ein Wandertag ins Freibad, einer nach FortFun, Fussballtunier, Pizzaessen, Filme. Dieses Schuljahr ging schnell rum, obwohl es so spät Ferien gibt. Könnte dran liegen, dass die Schule geöffnet hatte.


Eine Zecke krabbelt auf meinem Arm. Ich schnipse sie runter, nehme den Kulli, der da gerade liegt und mache sie platt, ohne drüber nachzudenken, eine fließende Bewegung. „Ups, das tut mir leid“, sage ich. „Waaas?“ fragt Märzkind. Leider hat der winzig kleine Kadaver einen Fleck auf einem Blatt ihres Ferienjob-Vertrages hinterlassen. Was sollen die Leute denken? Nix vermutlich.


Mallorcinische-Pimmelmusik löst Fluchtreflexe aus, bei mir. Wahrscheinlich bin deswegen als einzige wach geworden. Das Lied von der geilen Layla wird unter unserem Schlafzimmerfenster gegrölt, morgens um vier. So klingt der Sommer, in diesem Jahr, machste nix dran. Um halb fünf kommt das erste AS-Taxi und nimmt die fröhlichen Nachtschwärmer mit.


Heute haben sie gelernt wie man googelt, erzählt Julikind beim Mittagessen. Das war lustig, bis sie bemerkt haben, dass das wirklich ernst gemeinter Unterricht sein sollte. Ab da sind sie sich alle ziemlich verarscht vorgekommen, denn, ganz im Ernst, das konnten sie doch im Kindergarten schon. Stimmt.


Dieser Kartoffelsalat nach Muddas Rezept hat anscheind geschmeckt. Zwei Kilo Kartoffeln waren das. Einfach weg. Irgendwer hat sogar die Schüsseln in die Spülmaschine geräumt.


Die Getreideernte ist aus allergischer Sicht genauso doof wie die Heuernte. Fünf Staubwolken können wir sehen, bei der Hunderunde, und ein Mähdrescher läd genau neben uns Korn in einen Hänger. Ich rieche das gern, bekomme aber die Quittung am nächsten Tag. Allergie-Kater, so fühlt man sich wahrscheinlich mit 90, oder so. Eigentlich wollte ich einen gemütlichen mimimi-Tag einlegen. Dann ploppt ein Bandenscheibenvorfall im Freundeskreis auf und kurz danach zwei Coronainfektionen. So gesehen gehts mir prächtig.


Die Eltern der neunten Klassen kümmern sich um Theke und Küche während der Abschlussfeier der 10ten, wie in alten Zeiten. Nachmittags melden sich zwei spontan positiv, die werden nicht hinter der Theke stehen, abends. Innerhalb kürzester Zeit findet sich Ersatz. Ich lese den chat und die Stimme in meinem Kopf fragt laut und deutlich „Hä?!“ Also im letzten Jahr gab es diese Abschlussfeier dreimal hintereinander. Für jede Klasse einzeln. Jeder durfte drei Gäste mitbringen, die am Eingang einen Negativtest vorlegen mussten. Während der Feier haben wir mit Maske und sehr viel Abstand in der Halle verteilt gesessen. Danach ein Foto und fertig. Niemand im Bekanntenkreis hatte Corona, zu dem Zeitpunkt. Null. Heute kenne ich vier Positive und – wer schließt eigentlich das Fass an???


Mit Märzkind und der Mudda besuche ich ein Kammerkonzert. Märzkind wollte gern, und man muss ja auch mal, irgendwas mit Kultur. Ein schönes Konzert. Als Zuschauerin bin ich glaube ich noch nie bei einem gewesen. Wir ziehen das Durchschnittsalter gewaltig nach unten. Das Publikum ist fast eine Show für sich.

Danach Eisbecher, der hat geschmeckt.


Kindergeburtstag nächste Woche. Wie geht das nochmal?

Und warm soll es werden, aber so richtig.

KW22/23 2022

So, Schnauze voll. Ich hole mir eine zweite Decke vom Dachboden und schlafe ganz wunderbar, ohne zu frieren. Zum Frühstück esse Apfel-Zimt-Porridge, bringe danach eine Ladung Sonnenblumenkerne ins Futterhaus vor dem Fenster und gehe die Hunderunde in Winterjacke. 5°C, merkste selber, Juni, oder?

Nachmittags, am gleichen Tag wohlgemerkt, schleudern wir den Honig. Also, der Liebste stellt die Honigräume in die Küche, ich mache den Rest. Geht schnell, dieses Frühjahr.

Am nächsten morgen ist es merklich wärmer. Und sonnig. Fast sommerlich, man kann es kaum glauben. Märzkind und ich fahren nachmittags kurzentschlossen zum Erdbeerfeld. Nicht, dass da über Pfingsten alles abgeerntet wird – oder von Gewitter zerhagelt. Sonnencreme wäre eine gute Idee gewesen, aber mit schwülen 26 °C hatte irgendwie keine von uns gerechnet. Korb und Eimer sind schnell voll. Auf der Rückfahrt durchs Städtchen fährt ein Leichenwagen vor uns her. „Jo, dieses Wetter macht einen fertig“, sagt Märzkind.

Abends dann anbaden im See. Herrlich. So geht Juni.


Jahresvorrat Erdbeermarmelade gekocht.

Honig abgefüllt und Kunden zugeordnet. Da muss garnichts in den Keller getragen werden.


Der Teilzeitnachbar entrümpelt die Wohnung. Ich wasche Wäsche. Fast bei jeder Ladung, die ich aufhänge oder abnehme gibt es etwas Neues. Und es ist tatsächlich interessant wer da wann was abholt. Innerhalb von zwei Tagen wird das Carport einmal komplett bis oben voll und wieder leer geräumt. Ich staune. So ordentlich sah das noch nie aus. Das Ende einer traurigen Geschichte.


Abends um elf geht ich die letzten paar Meter mit dem Hund und brauche noch nicht mal einen Pulli. Ein lauer Sommerabend. In der Grillhütte wird gefeiert. Die ersten Takte eines Musikstücks laufen, man hört, dass die Gesellschaft sich freut, es wird mitgesungen. Das ist kein volltrunkenes Gegröle, stelle ich fest. Eigentlich ist das keine Überraschung. Da feiert heute die „Interessengemeinschaft landwirtschaftlicher Nutzfahrzeuge“ ( also Landwirte, Schlepperfreunde, Schrauber jeden Alters…), ich könnte mir vorstellen, dass von denen einige im Gesangverein sind. Den Refrain singen alle gemeinsam, die Hütte bebt. Es ist fast ein Gänsehautmoment. „ICH HAB ÜBERLEEEEGT MIT DEM SAUFEN AUFZUHÖÖÖÖÖÖRN . AAAAABER ICH SCHWANKE NOCH. ICH SCHWANKE NOCH“ Der Hund guckt mich fragend an. Das kennt er nicht. Tja Hund, früher, da war sowas normal, an sommerlichen Samstagen.


Ach übrigens, sagt Maikind, es gibt nur Frühstück in der Unterkunft. Sie sollen Taschengeld mitbringen, so zwischen 50 und 100 Euro wären gut, hat der Klassenlehrer gesagt. Ähm jo, früher waren Klassenfahrten ja mal „all inclusive“, meine ich mich zu erinnern, aber kein Problem, Gott sei Dank. Wer diese Beträge nicht mal eben so aus dem Hut zaubern kann ist übel angearscht, wenn so eine Info drei Tage vor Reiseantritt kommt.


Weil das Schüler-Hessenticket jetzt auch ein 9 Euro Ticket ist, muss man zum AS-Taxi garnichts mehr dazu bezahlen, sagt Märzkind und freut sich. Normalerweise kostet jede Fahrt einen Euro. Das sind bestimmt 20 Euro pro Monat, die sie jetzt anders ausgeben kann, schätze ich mal.

Märzkind bekommt ihren Traum-Ferienjob angeboten. Es ist der Job, den sie im Moment macht, als Praktikantin. Man würde sie gern über die Ferien weiter beschäftigen und wenn möglich sogar darüber hinaus, genau wie jetzt nur eben mit Geld. Da musste sie nicht überlegen. Fröhlich summend schwebt sie durchs Haus. Wenns einmal läuft…


Der große Neffe begegnet uns, einfach so, vor der Pommesbude auf dem Pfingstmarkt. Wir haben uns lange nicht gesehen, ich muss tatsächlich zweimal gucken, bevor ich mir sicher bin, dass er es ist. Die junge Frau an seiner Seite, ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wie sie heißt, das wird gleich peinlich. Oder auch nicht, wir werden vorgestellt, alle freuen sich. Smalltalk, Pommes, weiter gehts. „Der hat ganz schön Kreuz gekriegt, auf der Polizeischule, ne?“, sagt der Liebste. Jo, das ist wahr. „und dem seine Freundinnen sehen eigentlich immer gleich aus“.

Julikind kommt fröhlich quieksend aus dem riesen Schaukel-Fahrgeschäft. Die 6 Euro haben sich sowas von gelohnt, sie ist begeistert, das könnte sie direkt nochmal… Ihre Freundin wischt sich mit einer fahrigen Bewegung eine Haarsträhne aus dem Mundwinkel, sie sagt garnichts und ihr Gesicht hat keinerlei Farbe.


Der Gastgeber, der mag uns wirklich, sagt er. Wir sind unkomplizierte Gäste, weil, wenn man uns einläd, dann sagen wir „okay, danke“, kommen zur angepeilten Uhrzeit und essen einfach ne Wurst. Die anderen wollten lieber früher kommen, wegen der Kinder und die essen alle nur noch vegetarisch… und samma, ganz ehrlich, ne, wenn man doch zum grillen einläd… Der Liebste drückt ihm ein Bier in die Hand und klopft ihm die Schulter.

Wir können die Blagen einfach alleine zu Hause lassen. High five. Die anderen unterhalten sich über Einschulungsfeiern und sind ein bisschen neidisch.


Ansonsten war nix. Auch mal schön.

KW 17/18 2022

Es war angenehm ereignislos.

Die Wechselschichtwochen des Liebsten sind schon vorbei. Ich glaube, es war nur ein Rückwärtswechsel dabei. Aber Normalbetrieb ist noch einfacher. Naja, was man so Normalbetrieb nennt. Die Lieferketten, die Rohstoffe, eigentlich ist alles möglich.

Märzkind hat Theorieprüfung für den Autoführerschein. Zwanzig nach acht muss sie beim TÜV sein, danach in die Schule. Das geht nur mit Muttitaxi. Mein Plan war, in der halben Stunde Wartezeit einzukaufen, aber wegen der Baustelle quer durchs Städtchen kommt das hin. Ich habe also einen Aufenthalt auf dem TÜV Parkplatz. Ein Fahrschulauto mit einem sichtlich angespannten jungen Mann am Steuer fährt gerade los. Ich schicke gute Gedanken und drücke die Daumen. Nach zehn Minuten sind sie zurück. Der junge Mann sieht blass aus und geht mit gesenktem Kopf davon. Schade. Ich nutze die Zeit um in meinem Auto Müll einzusammeln, es lohnt sich. Märzkind hat bestanden – juhu! Dann jetzt schnell zur Schule, dritte Stunde Mathearbeit. Ich bin heimlich froh, dass das nicht mein Tagesprogramm ist.

Aus Gewohnheit gehe ich mit Maske in den Baumarkt. Eine niederländische Familie, die im gleichen Gang steht guckt mich komisch an. Die fühlen sich sichtlich unwohl, neben mir. Erst da fällt mir auf, dass alle anderen keine Maske aufhaben. Soll mir recht sein. Ich nehme sie ab und kaufe ohne weiter ein. Es fühlt sich genauso verrückt an wie der erste Einkauf mit Maske, damals.

Man möge sich doch bitte auf Katastrophen vorbereiten, geht durch die Nachrichten. 10 Tage ohne einkaufen sollte man durchhalten. Das würde gehen, glaube ich. Wobei, ohne Strom wäre blöd. Ein Wasservorrat macht natürlich auch Sinn, das haben wir ja letzten Herbst gesehen, als da dieses Rohr im Keller… aber auf unsere Haushaltsgröße gerechnet wären das nach amtlicher Liste 220 Liter. Wo sollten wir die denn lagern? Andererseits wollen wir natürlich auch nicht die ersten Idioten sein, die nichts mehr haben. Weltfrieden wäre am komfortabelsten.

Ein bei rebuy im Zustand „sehr gut“ gekauftes Mobiltelefon gibt nach einem halben Jahr den Geist auf. Ich schicke es ein, die sagen, kein Garantiefall, wegen nicht sachgemäßer Bedienung. Keine Ahnung was damit gemeint ist. Das Handy hatte keinen Unfall, war keinen Naturgewalten ausgesetzt, nix. Nachfrage im Handyladen. Natürlich kann man das reparieren. Würde 289,98 Euro kosten. Totalschaden. Sehr! Ärgerlich! Schrott hätte ich billiger kaufen können.

Wenn in der Hexennacht auf den ersten Mai vorm Haus Sachen weg gehext und irgendwo im Ort versteckt werden, ist das völlig in Ordnung. Brauchtum. Da muss man eben dran denken, den Kram reinzuholen, oder Maibowle hinstellen, für die Hexen. Wenn Sachen hinterm Haus, im umzäunten Grundstück gehext werden ist das weniger in Ordnung, finde ich. Wenn etwas aus dem Garten mitgenommen wird und nicht mehr zu finden ist – das ist klauen. War nur Gartenkitsch, aber ich mochte den.

Die blauen Briefe wurden verschickt und, ich will nicht angeben, aber ein bisschen stolz bin ich schon, denn ich habe keinen bekommen. Von den 12 Jungs in seiner Klasse sind 6 versetzungsgefährdet, sagt Maikind. In der Paralellklasse sieht es nicht besser aus. Wenn kein Wunder geschieht, wird aus zwei Abschlussklassen mit etwa 18 Kindern, wohl eine mit irgendwas um die 30 Schülern werden.

Ich habe einen neuen Filter im Denken, stelle ich fest. Vermutlich kommt das von der mentalen Überlastung der letzten Jahre. Manche Dinge sind mir so von Herzen egal, dass ich noch nicht mal aus Höflichkeit so tun kann, als würde ich mich dafür interessieren. Die Länge des Rasens in Schwiegermutters Garten beispielsweise und nein, ehrlich gesagt habe ich die Folge vom Traumschiff, in der Wie ein Onkel mitspielt nicht gesehen, weil, ich gucke nie Traumschiff.

Der Liebste hat neue Beete angelegt und Mist von regionalen Biorindern im Garten verteilt. Gemüsepflanzen haben wir in einer kleinen Gärnterei gekauft, mit Beratung. Ich habe die am ersten sonnigen Nachmittag eingepflanzt und schon mehrmals gegossen. Wenn das jetzt nichts wird, betonieren wir die Fläche und streichen sie grün.

Es wird grün und bunt draußen, endlich.

Dritte Adventswoche, im Nebel

Eine Elterntaxifahrt in der Dämmerung. Von rechts kommt ein Reh aus der Wiese, läuft vor uns über die Straße und auf der anderen Seite den Hang hoch. Kommentar vom Beifahrersitz aus: „Vorsicht. Weitere Einzeltiere können folgen“ Fahrschülerin an Bord.


„Mama, schnell“, ruft das Märzkind. Ich habs gesehen. Kurz nachdem sie der Haustür raus war, ist der Bus vorbeigefahren. Vier Minuten eher als üblich. Ich schnappe mir den Autoschlüssel und rufe nach oben, dass ich kurz nicht da bin. An der Bushaltestelle laden noch zwei ein, die auch zu spät waren, heute kommt kein Bus mehr. Leider steht im nächsten Ort niemand an der Haltestelle und der Bus fährt durch. Auf der schmalen Landstraße kann man keinen Bus überholen. Im nächsten Ort stehen zum Glück ein paar Leute. Ich halte, die drei Mädels bedanken sich herzlich und rennen los. Ich wende und fahre so schnell es geht durch den dichten Nebel wieder zurück. Wenn mir jetzt was vors Auto laufen würde, ich habe kein Handy dabei. Auch keine Jacke, und wenn ich so drüber nachdenke, ich hab Hausschuhe an.

Juhu, die anderen Kinder waren ausreichend geweckt und ziehen sich gerade die Jacken an als ich zu Hause ankomme. Ich hatte mich schon auf eine zweite Tour eingestellt.

Der Bus fährt ab jetzt vier Minuten früher. Es gab eine Fahrplanänderung. Die erste seit – schon immer. Ein Hinweis-Zettel im Bus wäre hilfreich gewesen.


Der Liebste fährt seine Mutter in die Klinik. Zwei bis drei Wochen wird das dauern. Weihnachten müssen wir dann mal sehen, ob und wann und wer und wie und wo.


Ich habe um neun einen Termin, normalerweise hätte jemand die Hunderunde übernommen. Normal wurde abgeschafft, scheint mir. Um halb acht ist es im Feld noch dunkel. Das macht aber eigentlich nichts, denn es ist so dermaßen neblig, da könnte man im Hellen auch nicht mehr sehen. Der Hund läuft zwanzig Meter vor und ist verschwunden. Ich hab schlecht geschlafen und für Kaffee war noch keine Zeit. Dieses Wetter, es ist wie in dem Buch, das ich heute nacht gelesen habe. Eigentlich um müde genug zum weiterschlafen zu werden, hat aber nicht funktioniert. Im Buch kamen die Hungernden aus dem Nebel. Eine Art Zombie-Vampire, die sehen aus wie Menschen, naja, wie tote Menschen, mit roten Augen, Klauen und Reißzähnen um den Lebenden das Fleisch von den Knochen… Drei Meter hinter mir springt etwas aus dem Graben. Da bin ich doch tatsächlich am eigenen Hund vorbeigelaufen, ohne es zu bemerken. Jetzt bin ich wach.


Am Eingang wird kurz ein Blick auf meinen QR-Code geworfen. Danke, alles super, bitte hier. Nachdem letzte Woche im Bastelladen mein Code gescannt und mit Perso abgeglichen wurde, scheint mir diese Kontrolle etwas lasch, aber egal. Es gilt sowieso FFP2-Masken-Pflicht. Einmal waschen, schneiden, föhnen dauert 40 Minuten und kostet 43,50 Euro. Gefühlte Inflation. Ich war allerdings auch schon länger nicht beim Frisör.


Ich lese ein bisschen was über die Omikron Variante und ergänze den Einkaufszettel. Hundefutter, Klopapier, Rotwein, Chips, Schokolade, Tiefkühlschnitzel, Frikadellen in Dosen. Ich will nicht wieder angeguckt werden wie der apokalyptische Hamster, wenn ich für mehrfach-Teenager-Haushalt mit geschlossener Kantine einkaufe. Vorräte verstecke ich im Keller, da vermuten die Blagen nichts Leckeres.


Der Klassenlehrer des Maikinds bittet alle, die bisher noch ohne sind, über die Ferien nochmal über eine Impfung nachzudenken, es gäbe erste Hinweise, dass Schule vielleicht, irgendwann nach den Ferien 2G werden könnte. „Das heißt, ich geh dann nicht mehr hin, oder was?“, erkundigt sich das Julikind, und freut sich schon. „Keine Ahnung“, knurrt das Maikind.


De Omma gibt mir ihr Rezept für Honigkuchen und ruft zwei Tage später an, um zu fragen, wie sie denn geworden sind. Bin ich noch nicht zu gekommen. Was? Wieso das denn nicht? Wegen Sachen. So kurz vor Weihnachten, da müsse man aber schon Prioritäten setzen, sagt de Omma.