Am 23. steht noch ein Termin im Kalender. Der Liebste übernimmt die Fahrt. 10 Minuten später kommt das Pluseinskind die Haustür rein. „Märzkind ist gerade nicht da“, sage ich. Weiß er, er schreibt gerade mir ihr. Die haben ein Reh angefahren. Och nö. Müssen wir da hin? Er fragt nach. Nee. Mit dem Auto ist alles gut, nur das Reh….
Eine viertel Stunde später steht das Märzkind in der Tür, Tränen in den Augen. Sie haben ein Reh… Ich weiß. Umarmung. „Und?“, frage ich. „Alles OK“, sagt der Liebste. Er war nicht schnell. Leider hat er das Reh trotzdem erwischt. Es lebte noch, konnte aber nicht mehr aufstehen. Da hat er jemanden angerufen. Hat kaum 10 Minuten gedauert, dann war der da und hat sich um das Reh gekümmert. Das Märzkind schluchzt ganz leise, der Liebste zieht die Luft ein, zwischen zusammengebissenen Zähnen. Er habe noch versucht, sich so hinzustellen, dass das Märzkind nichts sieht, aber gehört hat sie es natürlich trotzdem, und, ganz ehrlich, es war doch klar, dass da jetzt keine Tiernotrettung kommt, oder… Ja sicher. Aber…Das Pluseinskind übernimmt das Märzkind. Der Liebste erzählt mir die Geschichte nochmal unzensiert.
Kurz vor Weihnachten gibt es frische Coronaregeln, nicht das es langweilig wird. 10 Leute sind im privaten Bereich erlaubt. Äh, wir wären zwölf, Heilig Abend. Geboosterte und Kinder unter 14 zählen nicht. OK, dann sind wir sieben, und leicht verunsichert.
Der Liebste muss eh nochmal ins Städtchen und besorgt fünf Schnelltests. War etwas komplizierter als gedacht, und die Zeiten, in denen die 85 cent gekostet haben sind definitv vorbei, aber was solls. Bevor wir anfangen, den Tisch auszuziehen und Kleinmöbel zu verräumen, versammeln wir uns am Esstisch zum Test. Ich habe das tatsächlich noch nie bei mir selber gemacht und muss angeleitet werden. Jo, ist genauso widerlich wie die offiziellen Tests. Ich verziehe die nächsten fünf Minuten das Gesicht. Die Kinder finden das lustig, sie haben ja auf dem Teil des Hirns schon Hornhaut, sagen die Mädels. Wir überlegen kurz, so ein Biohazard-Tütchen mit Test drin an den Baum zu hängen. Letztes Jahr um diese Zeit, da hatten ja wir nix. Keine Tests, keine Impfungen. Der Liebste ist gedanklich schon beim Möbel rücken und räumt mit routinierter Geste den ganzen Rumms in die Mülltonne. Auch gut.
Der Weihnachtsbaum ist natürlich doch der Schönste. Da hat das Märzkind eine Begabung. Die Mädels haben geschmückt. Alle anderen haben sich rausgehalten. Frieden auf Erden.
Das Julikind guckt vom Weihnachtsbaum zum gedeckten Tisch zu den Geschenken auf der Anrichte und seufzt. Ich erkundige mich, was los ist. „Wenn das jetzt schön wird, Mama, müssen wir dann immer hier feiern?“ Äh, hä? „Weihnachten gehört doch eigentlich zur Oma ins Haus, dachte ich“. Naja, jetzt warten wir es erstmal ab, sage ich.
Ohne Weihnachtsgottesdienst kann es nicht Weihnachten werden, sagt das Märzkind, da müssen wir alle hin. Ich versuche mich rauszureden. Weihnachtsgottesdienste sind Fokloreveranstaltungen, damit kann ich nichts anfangen. Aber, es muss nichts mehr vorbereitet werden, alles ist fertig und die Gäste kommen erst danach, also gehen wir alle. Tja.
Heilig Abend ist Gottesdienst draußen, mit Maske, für alle. Offensichtlich wurde hier viel Zeit und Herzblut investiert. Das Kirchenportal wird festlich angestrahlt, es gibt einen Weihnachtsbaum, Laternen mit Kerzen, und echte Musik. Die Darbietenden singen mit solcher Inbrunst Weihnachtslieder, das ist mir zuviel. Ich bin froh, dass die Maske und die Dunkelheit mein Grinsen verbergen.
Es folgt ein auffallend entspanntes Abendessen mit anschließender Bescherung und Gemütlichkeit.
Schnee und blauer Himmel am ersten Weihnachtstag. Das Märzkind übernimmt die Hunderunde und muss dann los, zum Essen mit Schwiegerfamilie. Maikind verschwindet hinterm Bildschirm, Julikind hinter der neuen Staffelei, der Liebste hat Männerschnupfen des Todes muss aufs Sofa. Ich räume auf und wundere mich. Das Gefühl der Erschöpfung, dass normalerweise diesen Tag überlagert, es ist nicht da.
Nachmittags immernoch Schnee und blauer Himmel. Ein Spaziergang zu dritt mit Hund. Danach wieder Plätzchen, dann Jogginghose und Sofa. Perfekt.
Am zweiten Feiertag ist der Liebste genesen. Ein Leben ohne Schnupfen, herrlich. Ähm, er war gerade mal einen Tag kränklich, merke ich an. Es hat sich länger angefühlt, sagt er. Nachmittags kommt Schwiegermutter zum Kaffee. Der Klinikaufenthalt hat sich gelohnt, es wurde einiges auf den Weg gebracht. Schon jetzt kann sie wieder aufrecht gehen, mit der Aussicht auf noch mehr Verbesserung. Das freut mich. Paten vom Julikind kommen spontan dazu, ein bisschen Dorftratsch wird ausgetauscht, alles ganz gemütlich.
„Da freut man sich so lange drauf, und dann ist es so schnell vorbei“, sagt das Julikind am Abend. Sie könnte sich vorstellen, dass wir Weihnachten ruhig nochmal hier feiern. Das war eigentlich ganz schön. Jo, fand ich auch. Ich mag die Corona-Weihnachten lieber als die normalen, so leid es mir tut.