Es war einmal, an einem Mittwoch abend oder so, in der Vorweihnachtszeit des Jahres 2019. Der Hund war noch klein und – es waren andere Zeiten damals, man kann es sich kaum noch vorstellen…
Der Beziehungsrahmenvertrag sieht vor, dass ich ihn einmal im Jahr von einer Weihnachtsfeier abhole. In diesem Jahr ist es die vom Altherrenfussball, nur zwei Orte weiter.
Gegen halb zehn mache ich es mir auf dem Sofa bequem, es kann noch eine Weile dauern. Ich genieße kurz die Macht über die Fernbedienung und dann klingelt auch schon das Telefon. Unter meinem Kopfkissen. War wohl doch zu gemütlich.
Leise schleiche ich raus, den Fernseher lasse ich weiter laufen, nicht das der Hund aufwacht. Das klappt super, bis ich den Reißverschluss meiner Jacke zuziehe. Er wundert sich, das wir so spät noch rauswollen, aber – welche Freude… och nee. Im dem Moment kommt das Julikind die Treppe runter. Sie könnte den Hund mit hoch nehmen so lange, kein Problem. ( Abgesehen davon, das Grundschüler um kurz nach elf eigentlich schlafen sollten, aber mach was dran, bei der kleinen Eule.) Ich nehme ich das Angebot an und mache mich auf den Weg.
Das ist doch mal zäher Nebel. Wenn man an einem Leuchtpfosten vorbei fährt, kann man den nächsten noch nicht sehen. Sollte mich jetzt ne Wildsau rammen, ich könnte nicht mit Sicherheit sagen, wo genau ich gerade bin. Für die 10km brauche ich fast eine viertel Stunde.
Ich parke vor dem Haus und warte, dass jemand aus dem Fenster guckt. Außer mir steht sonst niemand hier, mitten in der Woche. Es tut sich nichts. Nur der Mann hinterm Tresen hat mich gesehen. Zum Glück war es kalt genug für eine Mütze, denke ich, als ich im „nach 22 Uhr auf dem Sofa Sitz Outfit“ das Lokal betrete.
Der Mann hinterm Tresen begrüßt mich freundlich.
„Na, einmal einer nach Hause?“
„Jawoll.“
Er deutet in den hinteren Teil, wo die Stimmung offensichtlich gut ist. „Such dir einen aus.“ „Och, ich glaube, ich nehm den gleichen wie immer.“ Dorfkneipe, man kennt sich.
Ich mache mich auf den Weg. „Heeeejj, da bist du ja schon, jetzt hat der Emm gerade eine neue Runde angefangen!“ Das kann ich sehen, verstehe die Info aber falsch. „Dann kann der Emm dir ja gleich ne Nachricht schicken, wie’s ausgegangen ist“. „Nee, der fährt doch mit uns“. Ach so. Ich erkläre kurz, dass der Hund das Kind so lange wach halten wird bis wir wieder zu Hause sind. Ach so. Der Emm wird nur mit seinem Namen angesprochen und mit einer wedelnden Handbewegung zum Aufbruch aufgefordert. „Oh, hi“, begrüßt er mich fröhlich, „sicher, ich komme“. Er wirft den Dartpfeil in die Scheibe, greift das Bierglas mit der frei gewordenen Hand und trinkt den letzten Schluck, dann stellt er das Glas ab, hebt die Hand und senkt den Kopf, alles in einer fließenden Bewegung: „Leute“ Mehr Worte braucht es nicht, männliche Kommunikation ist faszinierend sparsam. Bierdeckel und Sporttaschen werden zusammengesucht, nach Bargeld gekramt. Unter Protest der Kameraden, es ist anscheind zu früh zum gehen.
Mit dem Mann hinterm Tresen tausche ich heimlich ein Grinsen, er sieht dieses Schauspiel vermutlich öfter. Der Liebste zahlt seinen Deckel und wird dabei von jemandem, der am Tresen saß, erkannt. Händeschütteln, Begrüßung, lange nicht gesehen, „Hä?“, „Na, der Krissi,weißte doch…“, „ah, ja sicher, der Krissi.“ Ob wir ihn mitnehmen würden? Der Liebste weiß nicht wirklich, wer das ist, ich kenne sein Pokerface. Prinzipiell würden wir ihn natürlich mitnehmen, gerne, aber, er wohne halt in genau der anderen Richtung? Oder nicht? Nee, heute übernachtet der Krissi bei seinem Onkel, der wohnt im Haus gegenüber der Tankstelle. „Aaach, du bist dem Porno sein Kurzer…“ (Manche Sachen kann man sich nicht ausdenken…) Der Krissi guckt leicht verwirrt und bejaht. Gut, da müssen wir eh vorbei. Der Emm hat seinen Deckel währenddessen bezahlt und wir gehen zum Auto.
Ach, das war doch wirklich ein schöner Abend, sind sich die Herren einig. Und, ganz ehrlich, so bis halb zwölf, wenn du den nächsten Tag arbeiten musst, reicht das völlig. Es ist nicht mehr, wie es mal war. Nur schade, das der Alex nicht dabei war, aber, den hat’s schon übel zerlegt, man dachte kurz, der hat sich ernsthaft was getan. Ich werfe dem Liebsten einen fragenden Blick zu. Manchmal tut er den Fussballern aus Versehen weh. Die alten Herren fallen einfach anders, als die Jungs beim Football. Dafür konnte er nichts, erfahre ich. „Konnte doch keiner ahnen, das der nach links ausweicht,“ sagt der Emm, „zumal da ja die Wand war“.
Mittlerweile sind wir bei der Tankstelle angekommen. Ich erkundige mich, an welchem Haus ich denn halten soll, und werde noch drei Häuser weiter geleitet. Der Krissi bedankt sich sehr herzlich, und steigt aus.
„Wer? War? Das denn jetzt?“ erkundigt sich der Emm.
„Du wohnst doch hier, ich dachte du kennst den“, der Liebste ist verwirrt.
„Ich kenn doch die zwanzigjährigen nicht mehr.“
„Krissi, hat er nur gesagt“.
„Krissi sagt mir nix“.
„Dem Porno sein Kurzer“.
„Nä, der Porno wohnt da vorne, im Haus mit dem Zaun“, der Emm deutet die Straße runter. Alle Häuser auf dieser Seite haben einen Zaun.
„Na dann weiß ich’s auch nicht“, fasst der Liebste zusammen.
„Och, war aber ein ganz netter Kerl“.
„Jo, fand ich auch“.
Gut, dass das die Omma nicht weiß. Fremde darf ich nämlich nicht im Auto mitnehmen.