Weihnachtsstimmungen, zweiter Teil

Mein umgekehrter Adventskalender hatte vielleicht schon 24 Türchen bzw Tonnen. Ich habe mehrere Kleidungsstücke in die give box getragen und einige so klein geschnitten, dass sie eine zweite Karriere als Öltücher in der Garage machen können, mehrere Bücher weitergegeben, vier Handys wurden zur passenden Entsorgungsstelle mitgenommen. Ich habe einige Kontakte aus der Telefonliste gelöscht, außerdem jede Menge emails und Fotos mit nutzlos gewordenen Informationen, eine größere Menge Altpapier vom Dachboden entsorgt und zweimal Sperrmüll bestellt, für die wirklich großen Teile. Fühlt sich gut an.

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Wir haben einen Baum gekauft und im Anschluss daran Bratwurst gegessen.

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Julikind hatte einen Teller frisch dekorierter Plätzchen in der Küche stehen lassen, damit sie trocknen können. Abends ist der Teller leer. Sie wundert sich, wie sowas sein kann? Die waren lecker, erklärt Maikind. Ob eigentlich irgend jemand eine Ahnung hat, wieviel Arbeit sowas macht? fragt sie nach. Ja sicher. Alle nicken anerkennend.

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Vom Weihnachtsoratorium wird uns wohl hauptsächlich das grelle Licht und die unbequemen Sitzmöbel in Erinnerung bleiben. Das macht nichts, denn es ging bei dieser Veranstaltung ja um die gemeinsam verbrachte Zeit. Danach waren wir noch auf dem Weihnachtsmarkt. Märzkind und Schwiegermutter genossen die Atmosphäre, Julikind und ich beobachteten das Ganze interessiert. Wir haben alle gut gegessen und ich hab sogar was gekauft. Been there, done that, got the t-shirt, quasi.

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Ich will kein Corona haben, auf keinen Fall, das wäre das letzte, was uns jetzt noch fehlt, da sind sich alle hier einig. Wir meiden also den Großelternhaushalt und besuchen nicht die Omma im Krankenhaus. Die Berichte über ihren Zustand machen allerdings nachdenklich. Und als der Liebste es laut ausspricht ist die Antwort auf einmal ganz einfach. Ich würde da schon nochmal hin wollen, und wenn das so ist, kommt er mit, sagt er. Während wir Kittel, Handschuhe, FFP2 Maske anziehen überlegen wir, wann wir diese Kombi zuletzt… ist zum Glück schon länger her, aber man erinnert sich gut. Vor zwei Wochen habe ich die Omma zuletzt gesehen. Es wirkt, als wäre es Jahre her. Alles an ihr hat sich verändert, aber mit meinem Namen kann sie was anfangen, zwei Minuten lang, dann siezt sie mich. Wir verlassen das Krankenhaus in Hoffnung auf baldige Besserung, und sind froh, dass wir da waren. Wir haben den allerbesten Tag für einen Besuch erwischt.

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Überall werden die immer gleichen Zuckerguss überzogenen Gemütlichkeitskonsum Weihnachtslieder gespielt. Ich kanns nicht mehr hören. Gerade als ich überlege, wo ich denn mal unbeobachtet mit der Stirn gegen eine Wand klopfen könnte, spielen sie doch tatsächlich „fairytail of new york“, nicht die orginal Version, aber immerhin. Die Zeile mit den Flüchen singe ich leise mit, wie andere Leute den refrain von „last christmas“. So. Es geht wieder.

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Montag vormittag ein Besuch in einer Facharztpraxis wegen der einen Sache, Montag nachmittag im Krankenhaus wegen der anderen. Danach sitzen wir bei den Eltern in der Küche. Der Adventskranz leuchtet und wir überlegen mal, nur so für den Fall des Falles, wie viele Leute denn wohl zum Trauerkaffee kommen würden. Eigentlich ein gemütliches Beisammensein. Es ist eben wie es ist, dieses Jahr.

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Der Flur soll gestrichen werden. Alle Farben der Baumarkt Farbmusterwand stehen zur Auswahl, wir müssten uns für eine entscheiden. Der Liebste schlägt gelb vor. Ich wäre für ocker oder sandfarben, markiere den Bereich in der Farbpalette und reiche das Bild zurück. Ja gut, sagt er, dann sind wir uns doch einig, denn welche Art von gelb genau ist ihm egal.

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Der Elternbeirat informiert per Sprachnachricht über eine Sachlage. Der Liebste und ich tauschen einen Blick und würdigen kurz den Augenblick, denn uns betrifft es nicht. Wir haben kein Problem. Das ist schön.

Geburtstage und frühsommerliches

Die neue Spülmaschine hat ihren ersten Spülgang beendet. Die Tür wird von einem weißen Plastikteil einen Spaltbreit offen gehalten, oder geschlossen, je nachdem. Wir schauen uns fragend an, jeder zieht mal vorsichtig an der Tür, man will nicht gleich was kaputt machen. Die Bedienungsanleitung sagt, es handelt sich um einen energiesparenden Trockungsvorgang, man solle kräftig ziehen, wenn das Display anzeigt, das die Zeit abgelaufen ist, na dann. Mit einem mechanischen Geräusch verschwindet das weiße Plastikteil in der Maschine und ich ahne, was an diesem Gerät als allererstes kaputt gehen wird.

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Der Dorftratsch meldet einen Todesfall im erweiterten Familienkreis. Das kann nicht sein, sage ich, es gibt whatsapp Gruppen, das wüsste ich. Es ist aber tatsächlich so und das ist so merkwürdig, dass meine Mutter sich erkundigt, ob meine Schwester und ich uns denn wohl einigen können würden, wenn da mal was kritsches entschieden werden müsste. Ich denke schon, sage ich. Sie verfügt mündlich, dass wir bei Uneinigkeit eine Münze werfen.

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Der Nachbarort möchte ein Ortssippenbuch erstellen. Man sammelt Daten von ortsansässigen Familien. Es ist ein bisschen kompliziert, weil es sich um nicht googlebares Wissen handelt, und sich jeder persönlich schriftlich damit einverstanden erklären, dass die gefundenen Daten veröffentlicht werden dürfen. Auf Schwiegermutters Geburtstagskaffee werden entsprechende Formulare verteilt. Julikind bestaunt gemeinsam mit ihrer Cousine den Stammbaum, den Schwiegermutter in Lockdownzeiten aus den in den Schränken der Oma lagernden Informationen zusammenngestellt hatte. Ein gemeinsamer 8-mal-Ur-Opa hat am 21. Mai 1687 geheiratet. Das ist beeindruckend lange her, solche Daten kennt man sonst eher aus Geschichtsbüchern, dass die mal Wirklichkeit waren, wird ihnen gerade erst klar.

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Die Honigernte läuft total entspannt ab, im Vergleich zum letzten Jahr. Die Bienen wurden vermisst, von Nachbarn, das ist schön und schade gleichzeitig.

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Der lang ersehnte Geburtstag des Maikinds ist endlich da. Leider fällt er auf einen Wochentag, an dem alle erst später kommen, macht aber eigentlich nichts. Wir verabreden uns zum Geburtstagskaffee im kleinsten Kreis. Märzkind ruft an, sie habe natürlich den Anschlussbus verpasst, es müsste bitte jemand. Maikind grinst, „dann fahr ich mal gerade“, sagt er und zieht den Schuh, den er gerade ins Regal stellen wollte direkt wieder an. Die erste Fahrt ganz alleine im Auto – ein Fest.

Zur Geburtstagsfeier am Wochenende hat er die ganze Familie und alle Fahrgemeinschaften eingeladen. Die Planung läuft irgendwie nicht so voll automatisch, wie damals, als wir noch regelmäßig Familienfeiern ausgerichtet haben. Dauernd fragen wir uns wieviel wohl von was wann eingekauft werden muss, um dann wo genau zu lagern?

Der zentrale Sammelplatz für Geschirr, Deko und Sonstiges ist voll, wir brechen auf um schon „mal gerade“ eine Ladung ins Sportlerheim zu fahren, und, welch ein Glück, das es noch so früh ist. Das Sportlerheim sieht nämlich orginal so aus, wie man es sich an einem Samstagmorgen vorstellt, Rasenschnitt und Scherben auf klebrigem Fussboden, Sportzubehör, Aschenbecher…. Zu dritt brauchen wir anderthalb Stunden um das Ambiente soweit herzustellen, dass hier Omas am Tisch sitzen können. Das war so nicht geplant und das Zeitmanagment fühlt sich daraufhin eine ganze Weile so an, als hätte man verschlafen. Mittags kommen die ersten Gäste, Maikind freut sich sehr, alle anderen auch. Wir haben uns auf seiner Konfirmation das letzte Mal gesehen. Abends dann gemütliche Party bei ständig wechselndem Wetter.

Nach-Party-Überlegungen: Erdbeerbowle kam überraschend gut an, das hätte mehr sein können, aber wer ahnt denn sowas. / Wir spielen Kubb seit ungefähr 15 Jahren auf jeder Sommerparty nach den falschen Regeln, es hat wohl einfach nie jemand die Anleitung gelesen. / Bisher galt immer die unausgesprochene Party-AGB wer nicht absagt kommt, das scheint sich irgendwie verändert zu haben. / Niemand hat Fotos gemacht.

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Breakdancer gefahren im Regen und dann eine Weile staunend unter dem größten fahrbaren freefall-Tower Europas gestanden, in dem Julikind mit einer Freundin saß, vorher-nachher Fotos gemacht. Ansonsten faule Pfingsten genossen.

Eier und Gesang

In der Woche vor Ostern haben drei von fünf Leuten frei. Einkäufe werden erledigt, kleinere Projekte abgeschlossen, der Haushalt auf normal-Zustand gebracht und ausgeschlafen. So. Nach einem durchwachsenen ersten viertel Jahr sind wir jetzt vielleicht auf der Höhe der Zeit angekommen. .

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Ein Gottesdienstbesuch zum Karfreitag mit der ehemaligen Konfirmandin. Kaum zu glauben, dass in drei Wochen schon die nächsten dran sind, sagt sie, ein Jahr hat sich sonst länger angefühlt.

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Acht Leute wollen zum Osterfeuer, drei werden von dort wieder nach Hause fahren. Es wird nur ein Auto gebraucht, irgendwer wird die Strecke bis zum Sportplatz also laufen müssen. Einen Moment lang gucken sich alle gegenseitig fragend an. Der Vorschlag war eigentlich ein Scherz, aber die andern finden den spontan gut und sind so schnell auf dem Weg zum Auto, dass ich garnicht mehr dazu komme, den Kindern bescheid zu geben, naja, werden sie schon merken, sagt die Freundin. Vier Erwachsene fahren einfach so los, ohne Kinder, hihihi.

Die lieben Kleinen kommen etwas später an, als wir (augenrollendes Nicken einfügen) die Stimmung ist aber gut, denn das kulinarische Angebot wurde erweitert. Statt nur Bratwurst im Brötchen gibts jetzt auch Pommes, Currywurst, Mantaplatte und Butterbrezeln. Man plant die Speisenfolge des Abends. Gegen elf sind alle Erwachsenen müde genug für nach Hause. Um halb zwei werde ich halb wach, wegen ungewöhnlicher Geräuschkulisse im Haus: Treppe, Küchentür, Speisenkammertür, Stille, Küchentür in leise, Treppe in noch leiser, Zimmertür normal, dann gegiggel. Julikind hat einen Übernachtungsgast, anscheind waren die Snacks ausgegangen

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Ich hatte gesagt, ich hole sie ab. Wir sind beide auf die Minute pünktlich und wundern uns selber darüber. Vor der Kirche sind auffallend viele Parkplätze frei, so viele, das man sich fragt….? war klar, wir stehen natürlich vor der falschen. Aber, selbst vor der richtigen Kirche gibt es noch freie Parkplätze, als wir dort ankommen. Eine gut gelaunte Dame steigt aus dem Auto neben uns. Sie kennen sich hier garnicht aus und seien uns einfach mal hinterher gefahren, sagt sie, und „Frohe Ostern und ihr linkes Rücklicht funktioniert nicht“. Wir wünschen ebenfalls frohe Ostern und danken für den Hinweis, das Problem ist bekannt, und leider hartnäckig.

Das Kirchenportal ist angelehnt, ab hier wird man automatisch leise, denn drin ist es dunkel. Nach 5 Minuten haben sich die Augen daran gewöhnt und die wenigen Kerzen auf dem Fussboden wirken wie Scheinwerfer, wenn man direkt darauf guckt. Irgendwann beginnt die Kantorei zu singen, ein Gänsehautmoment, alle Jahre wieder.

Gemütliches Osterfrühstück zu Hause, anschließend Eiersuche im Garten. Die Eier wurden gut versteckt, schließlich sind die Blagen schon groß. Wie immer sind zwei Eier unauffindbar. Der Liebste möchte die Suche trotzdem nur ungern beenden, weil er immer derjenige ist, der diese Eier dann später im Jahr findet, und man sich über faule Eier weniger freut. Noch einmal werden die gefundenen Eier gezählt und mööööglicherweise wurden die beiden fehlenden bereits gestern Abend entnommen, als das Körbchen noch in der Speisekammer stand, sagt jemand, wir haben sie also alle.

Am frühen Nachmittag sind wir zum Eierwerfen verabredet. Entgegenkommende Spaziergänger schauen uns verwundert an. Wahrscheinlich ist es eher selten, dass 10 Leute gemeinsam spazieren gehen, überlegen wir. Am Eierwerfplatz ist schnell eine Reihenfolge festgelegt und der erste Werfer beginnt. Neun Leute rufen laut „ooohhhh“, als bei der Landung ein Feuerwerk aus hart gekochtem Ei zu sehen ist. Noch nie sind so viele Eier kaputt gegangen, wie in diesem Jahr, außerdem wurden einige garnicht wieder gefunden. Die Siegereier werden am Ende aufgegessen. Fast ohne Salz, weil es windig war und das hätte man einkalkulieren müssen, beim kippen des Salzstreuers.

Dann Kaffee und Kuchen bei den Eltern.

Dann sitzen am Küchentisch bei Schwiegermutter, bei Wasser und Apfelschorle. Alle sind gut satt.

Abends steht ein Rudel aus Schokoladenhasen auf der Anrichte.

Es war richtig schön, dieses Ostern so mit allem. Alle gesund, keine Baustelle im Haus, fließendes Wasser in dichten Leitungen, kein Lockdown, Wetter jahreszeitlich angemessen, früher war sowas ja ganz normal, heute weiß man es zu schätzen.

Ostermontag ist aber zum Glück ein Sofasitztag. Sozialkontakte-Kater.

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Auf dem Weg vom Esstisch in die Küche kommt man jetzt wieder am Sofa vorbei, begegnet also hin und wieder zufällig, anderen Familienmitgliedern, tauscht Neuigkeit, verteilt gute Ratschläge oder macht im vorübergehen Fratzen. Das hat gefehlt.

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In der Ansprache zur Trauerfeier für die Großtante ist der, ich zitiere „legendäre Heilige Abend“ in ihrem Elternhaus ein großes Thema. Es ist das Haus, in dem wir jetzt wohnen, ich kenne die Geschichten und muss fast Grinsen. Es wurde viel gesungen, das stimmt, wunderschön können die alle singen, zweistimmig mit Melodievariationen und auswendig natürlich. Funfact: Teil der Legende sind etliche Kästen Bier und es wurde nicht, wie der Pfarrer dieser Gemeinde offensichtlich annimmt, „zur Lobpreisung unseres Herrn“ gesungen, sondern schlicht zur Deeskalation. Zwei Schwager sind sich gegenseitig so dermaßen auf den Sack gegangen, dass es jederzeit zu ernsteren Streitigkeiten hätte kommen können. Der hauseigene Opa hatte das im Auge und unter den Schwestern gab es ein Abkommen, dass, wann auch immer der Opa sagt, jetzt wir singen mal ein Lied, sofort alle einstimmen. Hat die Oma erzählt, an Weihnachten.

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Maikind hat die Zwischenprüfung hinter sich, Julikind die Präsentation abgegeben. Man kann sich bei den gemeinsamen Mahlzeiten wieder ganz normal unterhalten. Schön ist das.

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Eigentlich wollte ich nochmal grüne Soße machen, mit übrig gebliebenen Ostereiern, aber, äh, es gibt keine Reste. Mit nachlassender nervlicher Anspannung ist der Apetit wohl wieder zurück. 50 Eier waren das.

12+1 Gäste

Brüderchen feiert seinen Geburtstag. Es gibt Kaffee und Kuchen bei den Eltern in der Küche. Eingeladen ist „die Weihnachtsrunde“ und ein guter Freund. Der witzigerweise unabhängig voneinander sowohl mit dem Brüderchen als auch mitm Vatta befreundet war, was erst auffiel, als sie sich zufällig alle in einem Cafe begegnet sind. Man begrüßt sich fröhlich. Wir haben uns schon bei früheren Feiern gesehen, aber so ganz ohne andere Leute rund um einen Tisch da nutzt er doch mal die Gelegenheit, die Verwandschaftsverhältnisse zu ergründen. Märzkind ist doch bestimmt die Tochter von?..“ „nee… die Enkeltochter…“ „ach, dann bist du die Tochter von…?“ „nee, auch die Enkeltochter, denken die Leute aber öfter, wahrscheinlich wegen der Haarfarbe…“ „Aha, ahso, ja“, der Gast schaut in Gesichter und man kann in seinem sehen, wie Informationen verarbeitet werden. Eigentlich ist es ganz einfach und schnell erklärt: Wir sind drei Söhne, fünf Töchter, ein Opa, drei Omas – davon zwei Uromas, sechs Enkel, drei davon auch Urenkel, (zwei Schwiegersöhne, eine Schwiegertochter, zwei Brüder, vier Schwestern ein Onkel und eine Tante, zwei Nichten und ein Neffe, vier Mütter, zwei Väter, ein Schwiegervatta, drei Schwiegermütter). „Nah, vielleicht, für Außenstehende doch ein bisschen kompliziert…“, gibt meine Schwester zu, und für manche ist es ungewohnt, dass vier Generationen so um einen Tisch sitzen. Der Gast wirkt aber nur leicht überfordert, er habe ja vier Schwestern, „war auch nicht immer leicht“. Maikind und Brüderchen nehmen ehrlich Anteil, zwei Schwestern geht gerade so, aber vier…

So lief die Feier im letzten Jahr. In diesem Jahr fand der Geburtstag an einem Wochentag statt, mit weniger Gästen, aber nervlich aufwändiger. Beide Omas haben ihr Zeitgefühl verloren. An ihrem Gesichtsausdruck merkt man ab und an, dass sie sich auch eigentlich nicht sicher sind, wer genau da so am Tisch sitzt. Brüderchen freut sich sehr, dass das geklappt hat. Schön, dass wir alle sind sagt er, und ein Hauch von „wer weiß wie oft man noch so…“ liegt in der Luft.

Mitte März, unsortiert

Bis vor wenigen Wochen sah ich morgens öfter den Nachbarn auf der Bank unter der Linde sitzen. Er hatte ein Sitzkissen dabei und Zeit. Solange bis der hochbetagte Hund, der einen Meter weiter auf der Wiese lag andeutete, dass er den Weg nach Hause jetzt wieder schafft. Dann wurde in aller Ruhe zusammengepackt und der Rückweg angetreten. Ein Spaziergang von 200 Metern etwa, einträchtig nebeneinander, total entspannt. Ich habe den Nachbarn eine Weile nicht gesehen, ohne mir etwas dabei zu denken, es fällt mir erst gerade auf, denn heute ist er wieder da. Er geht sein gewohntes Tempo. Sein neuer Begleiter läuft kläffend um ihn herum, als müsste es viel schneller gehen, der Mann stakt eilig seine Gehhilfen aus der sich windenden Leine und dreht sich einmal um die eigene Achse, kurz sieht es so aus, als würde das Gleichgewicht verlieren, als der kleine Hund mit aller Kraft zieht. Oh hauahaua ha, denke ich vom Fenster aus. Gut, dass de Omma sich nur einen neuen Hahn gekauft hat.

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Einen Moment lang stehen wir vorm Schaltschrank und beobachten das kleine Rädchen. Der Stromzähler dreht sich sehr langsam, aber erkennbar rückwärts. Irgendwann demnächst wird bestimmt ein digitaler Zähler kommen, dann müssen wir den geernteten Strom immer frisch verbrauchen.

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Frühlingsbeginn so ganz ohne Bienen fühlt sich merkwürdig an.

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Ist das ein Rauchmelder? Wir gucken uns fragend an. Nee, ist nur dieser Alarm, wegen Warntag, sagt eine Kollegin, schiebt das Handy zurück in die Tasche und guckt so, dabei… Die Nutzung mobiler Endgeräte aller Art sind eigentlich im ganzen Gebäude verboten, gerade gestern wurden wir darauf hingewiesen. Macht schon Sinn, diese Regel, eigentlich. Nur – Sirenengeheul hört man offensichtlich nicht, über 20 spielende Kinder hinweg. Da müsste sich die Katastrophe dann übers Festnetz melden, oder ans Fenster klopfen, oder so.

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Ohne echtes Interesse gelegentlich die Koalitionsverhandlungen verfolgt und kopfschüttelnd amüsiert dabei.

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Man würde die Kindergeldzahlung aufgrund der Volljährigkeit demnächst einstellen, es sei denn, ich kann belegen, dass es noch zur Schule geht oder eine erste Ausbildung macht, teilt das Amt mit. Ich nutze den aufgedruckten QR-Code um die nötigen Unterlagen einzureichen, und frage mich, ob das wohl wirklich so einfach geht. Wenige Tage später bekomme ich wieder Post, in den Briefkasten neben der Haustür. Mein Kind befinde sich in einer Berufsausbildung. Der Ausbildungsbetrieb möge das fristgerecht bestätigen, sonst wird es kein Kindergeld mehr geben. Das Kind nimmt den Zettel mit in den Betrieb, der Ausbilder unterschreibt und stempelt, ich adressiere einen Umschlag, klebe eine Briefmarke, laufe zum Briefkasten und hoffe, dass die Post das fristgerecht hinbekommt. So fühlt es sich viel normaler an.

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Klausur und Zwischenprüfung wurden geschrieben, das Betriebspraktikum läuft und macht Spaß, die Stimmung im Haus ist nicht mehr zu vergleichen, mit der von letzter Woche. Puh.

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Wir haben wirklich schöne Schüsseln, sagt Märzkind beiläufig, während der Essensvorbereitungen, und eine richtig gute Rezeptesammlung, da kann man sich später mal über ein Erbe freuen. Vermögen wäre natürlich auch toll, aber so was praktisches, als Andenken fürs Leben ist auf jeden Fall viel besser als ein Haufen Klump, wo man sich sofort fragt, wie man es am besten entsorgen kann. Ein ungewöhnliches, aber nettes Kompliment.

Ich könnte ja mal das Fotoalbum holen, sagen die Gäste. Wenige Minuten später schwelgen alle Anwesenden in fröhlicher Nostalgie. „Dann bist jetzt seit 20 Jahren Mama“, sagt meine Mama, ich nicke nur und mache ein so-isses-Brummgeräusch „…und ich Oma“. Auf dem „Kind mit Großeltern-Foto“, dass heute vor genau 19 Jahren gemacht wurde, sind 9 Personen. Heute feiern noch zwei Omas und ein Opa mit.

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Eine Wartezeit im Auto. Mit Tee aus dem Thermobecher einem Buch und einer Wolldecke ist es eigentlich ganz gemütlich. Normalerweise würde ich einkaufen fahren, solange, bin aber schon wieder erkältet, ich würde sowieso die Hälfte vergessen. Es nervt.

Was das Bild schon immer da? Könnte sein, es stand eine Mülltonne davor, oder so.

Luft nach oben

Drei Stunden lang hat es geregnet. Jetzt schneit es, aber wie. Das ist kein leises rieseln. Große, nasse Flocken fallen entschlossen zu Boden, auf den dort liegenden nassen Schnee. Es sind nur 5 Kilometer bis nach Hause und meine Winterreifen sind gut. Nach 500 Metern denke ich darüber nach, einfach rechts ran zu fahren und auf ein Räumfahrzeug zu warten. Zu Hause angekommen schaufele ich die Einfahrt frei. Es dauert. Natürlich kommt, genau in dem Moment, als ich fertig bin ein Räumfahrzeug und wirft dicke Eisklumpen in die Einfahrt. Julikind wird das übernehmen, sagt sie. Ich freue mich. Eine Stunde nach Fahrtbeginn komme ich endlich an der Haustür an.

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Die gesperrte Straße wird geräumt, aber nicht gestreut. Das ist super für verletzte Hundepfoten. Für gesunde auch, eine Premium-Gassirunde. Die wenigen Autos, die die Schilder ignorieren fahren sehr langsam, man hält an, tratscht durch Autofenster.

Das die Ortsdurchfahrt morgens nicht mehr geräumt wird nervt allerdings. Im Ort wohnen ja noch Menschen, auch wenn es keinen Durchgangsverkehr gibt.

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Am Wochenende dann Winter-Wonder-Land, mit Schnee und blauem Himmel. Vier Leute und ein Hund begeben sich zum Schlittenhang. Zum Schlitten fahren ist der Schnee zu tief, aber wir haben den aufgepumpten Treckerschlauch dabei. Das funktionert richtig gut, schneller und weiter als gedacht. Der Versuch, die Fahrtrichtung so zu ändern, dass ich den Stacheldrahtzaun sehen kann, bevor ich reinfahre endet schmerzhaft.

Am nächsten Wochentag dann der schnellste Besuch in einer chirurgischen Praxis aller Zeiten, ich freue mich fast, als ich wieder ins Auto steige. Es ist nichts kaputt. Weh tuts trotzdem. Mein Handgelenk wechselt täglich die Farbe.

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„Zwischendurch mal für eine Stunde“ sei die Küche nicht zu betreten, hatte der Handwerker gesagt. Das ist ja nun wirklich kein Problem, wir richten uns darauf ein. Irgendwann haben dann doch alle Hunger und es sieht gut aus, der Handwerker räumt ungewöhlich früh seine Sachen zusammen Für heute ist er hier fertig, sagt er, Trockungszeit ab jetzt seien 4-6 Stunden, um 20 Uhr könnten wir die Küche also wieder betreten, aber – bitte vorher testen, nicht gleich mit dem ganzen Gewicht. Ähm, ja.

Der Liebste fährt ins Pommesgeschäft und holt uns etwas zu essen. Drei recht kleine Cheeseburger und vier Portionen Pommes, die garnicht mal so gut schmecken kosten 42 Euro. Schade, die waren mal gut, aber das kann man dann in Zukunft einfach sein lassen.

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Die Oma im Städtchen feiert ihren halb runden Geburtstag. Der engste Kreis sind etwa 30 Leute. Wir sitzen in einem seperaten Raum der Pizzeria mit Ambiente, alle unterhalten sich nett. Das Geburtstagskind bekommt routiniert ein Ständchen gesungen, als die erste Runde Getränke auf dem Tisch steht, so schön, dass im angrenzenden Gastraum alles still wird. Es gibt einige „Kind bist du groß geworden“-Momente, Kreuzfahrergeschichten werden ausgetauscht, Wochenplanung gemacht. Es dauert lange, bis alle etwas zu essen haben, dafür hat man natürlich Verständnis, aber – wenn ich eine Stunde auf eine Pizza warte, hätte ich gern das Gefühl, dass die frisch für mich gemacht wurde. Lauwarme Pizza kann man auch zu Hause… leider auch nur so mittelgut im Geschmack. Der Laden war rappelvoll, das macht nachdenklich.

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Am Tag darauf, wie es die Traditon in der dritten Januarwoche verlangt, drei von fünf krank. Coronatests negativ, immerhin, aber das ändert nichts am elenden Gefühl.

2025 hat noch Luft nach oben.

Rund um Weihnachten 2024

Am letzten Schultag hole Julikind ab und wir fahren ins Nachbarstädtchen. Das war vielleicht nicht die klügste Entscheideung, wenn wir jetzt so drüber nachdenken. Die Straßen sind voll. Wir stehen quasi im Stau. Aber ist auch egal, es ist die erste und letzte Gelegenheit und die Einkaufsliste ist noch ziemlich lang. Der Advent war zäh, dies Jahr. Dieses jetzt oder nie, es macht entscheidungsfreudig. Wir finden was wir suchen, sogar in schön und sind ehrlich gesagt überrascht. Julikind denkt laut darüber nach, ob das zum neuen Konzept werden könnte, einfach vier Tage vor Weihnachten, Sachen in zu Geschäften kaufen, dann mit Tüten durch Fussgängerzonen laufen, das hat ihr gut gefallen.

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Dann kommt der Moment, ab dem wirklich alle frei haben. Endlich.

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Es gibt garnicht so viel vorzubereiten. Der Nachmittag des heiligen Abends ist ruhig. Alle gemeinsam gehen wir zum Gottesdienst. Ich war seit Jahren nicht mehr Heilig Abend in der Kirche und wundere mich über die freien Plätze. Früher musste man zeitig da sein, die Reihen wurden nachverdichtet, bis in die hinterletzte Ecke, das scheint lange her zu sein. Zum Eingang wird die Aschenbrödel-Melodie gespielt. Die Damen lächeln sich zu, die Herren – hatten gleich das Gefühl es irgendwo schon mal gehört zu haben, dieses Stück.

Für 12 Personen ist der Tisch gedeckt. Die Gäste bringen Essen mit, es wird schnell eng auf dem Tisch. Wir rücken Gläser etwas dichter, Schüsselchen zwischen Gedecke. De Omma hatte spontan doch lieber keine Lust auf Weihnachten, es stört ihren gewohnten Ablauf. Dafür haben alle Verständnis. Ich räume ein Gedeck wieder ab und „dann haben wir ja Platz für Kartoffelsalat“, sagt jemand. In der Küche wird die erste Flasche Sekt geöffnet. Brüderchen liegt im Krankenhaus (aus Gründen der Barrierefreit verzichten wir sonst auf Alkohohlausschank). Wir sind so wenig Leute wie wahrscheinlich noch nie, aber die die da sind, genießen den exklusiven Abend, ganz ohne Pflegebedarf. Ein Hauch von Müdigkeit, gegen 23.30 Uhr, dann kommt noch jemand, wir tauschen Geschenke aus, und, wenn wir jetzt alle noch wach sind, gehen wir nach draußen, um dem mitternächtlichen Glockengeläut zu lauschen, bei dem es sich im Grunde um ein Trinkspiel handelt. Es muss manuell, oben im Glockenturm geläutet werden, bis eine bestimmte Menge an Schnaps pro Person getrunken wurde, von jungen Menschen natürlich, die anschließend noch halbwegs heil die Leitern wieder runter kommen.

Mein erster Heilig Abend ohne Großeltern. Ein Meilenstein. Also, die Omas leben noch, waren halt nur nicht dabei.

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Der erste Feiertag wird bei Schwiegermutter gefeiert, in bombastischen Weihnachtsambiente. Schon in der Diele steht mehr Weihnachtsdeko als bei uns im ganzen Haus. Alle sind gekommen, es braucht zwei Tische, mittlerweile. Zu sechst sitzen wir schweigend am „Kindertisch“ im Wohnbereich. Der Schwippschwager steht auf und dreht die panflötenuntermalte Chormusik leiser. Besser. Ganz allmählich kommt ein Gespräch in Gang. Irgendwann ist die CD durchgelaufen und es wird still im Raum. So ist gut, sind wir uns einig, aber, wenn hier keine Musik läuft, das fällt bestimmt bald auf und dann kommt womöglich jemand und drückt wieder auf play. Schwippschwager und Nichte sichten das CD Sortiment. Es gibt zahlreiche Variationen des eben gehörten… und eine CD mit Vogelstimmen, die nehmen wir, unterhalten uns über Vogelarten und was man so erkennt….und fragen uns, wann das wohl auffällt und wem.

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Der zweite Feiertag versinkt in dichtestem Nebel, die andere Straßenseite ist nur schemenhaft zu sehen. Egal. Wir sind alle übersozialisiert und verbringen den Tag in Jogginghosen vor Bildschirmen sitzend, ernähren uns von Resten.

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Bemerknisse : Auffallend große Zufriedenheit mit Geschenken, dies Jahr. Es gab gewünschtes und gute Überraschungen. Ungewöhnlich wenig Süßigkeiten gab es, das fällt aber tatsächlich erst zwei Tage später auf. Macht garnichts, ist nur seltsam die Schnuckeschublade nach Weihnachten so leer zu sehen. Wenn jeder nur eine Sache zu Essen vorbereiten muss, wird alles mit Liebe gemacht – und das merkt man. Gutes Konzept. Der mittlere Neffe hat zum ersten Mal jemanden, der nicht zu seiner Kernfamilie gehört direkt angesprochen. Ein Meilenstein. Vielleicht gibt es eine Geschichte dazu, man weiß es nicht. Die Krippenfiguren passen dermaßen gut in die Wand, dass wir einen Moment überlegen, ob wir dafür nicht eine Lücke in der Trockenbauwand einplanen sollten.

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Ein Kaffeetrinken bei der Omma. Sie wirkt sortiert und zufrieden. Wir führen über anderthalb Stunden ein halbwegs fortlaufendes Gespräch, beobachten Vögel am Futterhaus, essen Kuchen. Weihnachtlicher braucht es garnicht werden.

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Spontanes Treffen zur Geschenkübergabe beim Patenkind. Memory, Mähdrescher und Monstertruck gespielt, andächtig drei Seiten Zeitung geschreddert. Der Liebste und ich fahren mit einem leicht nostalgischen Gefühl nach Hause.

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Feuerwerkseinkauf mit Maikind. Er zahlt die gescannten Waren an der Selbstbedienungskasse, ich das Feuerwerk an einer, wo schon jemand sitzt, der meine Volljährigkeit feststellen kann. Wir sind zeitgleich fertig.

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Der Liebste wollte das kalte Wetter für die Winterbehandlung der Bienen nutzen und ist früher wieder da, als gedacht. Am vorletzten Tag zeigt dieses Jahr uns nochmal den Mittelfinger.

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Jetzt noch ein bisschen putzen und aufräumen, Gästebettwäsche rauskramen und Buffet richten für Silvester. Das neue Jahr darf gerne gut werden.

Aschenbrödel und Nikolaus

Man nimmt den Topf mit Kartoffeln vom Herd, geht zwei Schritte und schüttet das heiße Wasser einfach ins Spülbecken ab. Es ist toll. Ich freue mich heute zum zehnten mal, oder so darüber. Ein Spülbecken mit Wasseranschluss in der Küche ist so dermaßen praktisch. Nach dem Abendbrot räumen wir feierlich die Spülmaschine ein, drücken den Knopf und lauschen einen Moment andächtig ihrem Arbeitsgeräusch. Man müsste sich eigentlich albern vorkommen dabei. Tun wir aber nicht, kein bisschen. Die Arbeitsplatte ist auch wieder da. Man kann in der Küche stehend Dinge zubereiten, das vereinfacht die Arbeitsabläufe, es kocht sich wie von selber, also fast. Man hatte sich tatsächlich schon gewöhnt, an die provisorische Lagerung von Dosen, Tellern und Kleinteilen und zieht ständig die falschen Schubladen. Bisschen fusskalt ist es, so direkt auf dem Estrich aber irgendwas ist ja immer.

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So, da nun klar ist, in welchem Zustand sich der Hauptraum an Heilig Abend befinden wird, können wir anfangen, über Details nachzudenken. Wo soll denn der Baum stehen, dieses Jahr? Wo die Leute sitzen? Wir überlegen, zählen Namen an Fingern ab, diskutieren Eventualitäten und sich daraus ergebende Gehwege. Wahrscheinlich sind wir nur zu zwölft. Die Möbel können genau so stehen bleiben, eine zusätzliche Tischplatte rein, ein paar Stühle vom Dachboden und fertig. „Nur zwölf?“, der Neue schmunzelt ein bisschen, sie feiern zu dritt, sagt er.

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„Wo sind wir eigentlich?“, fragt Julikind auf dem Heimweg. „Irgendwo zwischen dem Nachbarort und zu Hause, aber so ganz genau weiß ich es ehrlich gesagt auch nicht“. Es geht nur langsam voran. Wenn man an einem Leuchtpfosten vorbei fährt kann man gerade so die Reflektoren des nächsten Pfostens erkennen und wirklich nur die. Wir unterhalten uns darüber, was Leute von woanders so meinen, wenn sie „Nebel“ sagen, sowas wie hier kennen die garnicht.

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Die Musik aus „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, gespielt vom Orchester, der Film läuft darüber auf Leinwand mit. Die Karten hatten wir bereits im Sommer gekauft. Ich war ehrlich gesagt skeptisch und daher auch nur mäßig aufgeregt, vorher. Aber, zu meiner Überraschung war das wirklich schön. Die Oper war beinahe ausverkauft, die Stimmung kulturell, kein merchandise, keine Plastikbecher. Eine interessante Mischung von Leuten im Weihnachtspulli bis hin zu russischen Damen in Abendgarderobe. Das Orchester war wirklich beeindruckend. Die Zugfahrt zurück auch, denn da war gerade ein Fussballspiel zu Ende gegangen. Es gab an dem Tag keinen extra Zug für die Fans, und der reguläre hatte laut Anzeige leider heute einen Waggon weniger als üblich. Frankfurt hat auffallend freundliche Fans. Aber, wie viele Leute wirklich in einen Zug reinpassen, das stellt man sich nicht vor, als Landei. Am Abend fühlt es sich so an, als wäre es eine ganze Reise gewesen.

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Uhhh ha, da war doch was. Am späten Abend des 5. Dezember schleicht der Nikolaus noch mal über den Flur und befüllt Stiefel. Die Kinder wundern sich am Morgen. Alle drei hatten es total vergessen. Ein Meilenstein. Da könnte der Nikolaus ja vielleicht in Rente gehen? Neee, neeee, neee, das nun nicht, sie waren einfach zu busy, sagen die Blagen.

Zwei kleine Nikoläuse kamen am späten Nachmittag zum Süßigkeiten einsammeln. Vielleicht fällt diese Tradition Halloween zum Opfer oder es liegt daran, dass der Bär jetzt früher rum geht. Der war gut gewickelt und hat so gebrüllt – „ein bisschen gruselt es immernoch“, sagt Julikind und fragt dann interessiert, wer denn drin steckt (im aus Strohschlangen massgewickelten Kostüm)

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Der Parkplatz, den wir als Haltestelle einer wöchentlichen Elterntaxifahrt nutzen wurde zum Großteil gesperrt, man baut eine Eisbahn auf mit Würstchenbuden und so. Eigentlich wollte ich die Wartezeit für Besorgungen in der Fussgängerzone nutzen, tja, dann nicht, Weiterfahrt zum Baumarkt mit Parkplatz.

Äh, hä? Einen Moment lang stehe ich leicht verwirrt vor dieser Drogeriemarkt-Produktinsel. Wo letzte Woche noch Nougatmandeln und Lebkuchen standen sind jetzt Konfettikanonen und Glücksschweinchen aufgebaut. Man möge sich mit Sylvesterkitsch eindecken – am Freitag vor dem zweiten Advent.

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Nach drei Tagen bei windigen 4°C und Regen von allen Seiten, fühlt sich eine Hunderunde bei 4°C ohne Wind und Regen unter blauem Himmel an wie Frühlingserwachen.

Ende Juni

Das Familienunternehmen mit Tradition, ist dann wohl offiziell insolvent, jemand schickt mir einen link zum Insolvenzregister und wirkt überrascht. Ich leite die Nachricht an den Liebsten weiter, „tja“, sagt er nur. Die Teams Traditon und Familie haben schon vor Jahren Abschied genommen. Aus Gründen.

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Die Mülltonnen, die laut Plan heute hätten geleert werden sollen stehen immer noch genauso da wie heute morgen. Ich ziehe sie hundert Meter weiter, denn hier kommt morgen niemand durch. Die Tonne, die für den nächsten Tag auf dem Plan steht hole ich dazu.

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Endlich Sommer. Statt im Auto zu warten nehme ich mein Buch und setze ich mich auf die Brücke am rauschenden Bach, umgeben von grünen Wäldern. Auf der anderen Uferseite wird Heu gewendet, der Wind trägt den Geruch bis hierher, als wäre eine Postkarte lebendig geworden. Die beste Mutti-Taxi-Wartezeit des Jahres.

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Seine Mitfahrgelegenheit sollte eigentlich jetzt hier sein, aber, der, der im Städtchen zusteigt steht noch, sagt Maikind und wird ein bisschen blass. Klassenarbeit in der ersten Stunde – ob ich ihn vielleicht fahren würde? Ja sicher. Der Bus ins Nachbarstädtchen mit Berufsschule ist seit 28 Minuten weg (Stadtkindern muss man vielleicht erklären: der Bus bedeutet, da fährt heute sonst nichts mehr) Wir bringen Julikind noch zur Bushaltestelle auf dem Berg, und dann aber… och guck, das Auto vor uns an der Bahnschranke kennen wir, es hat mit 99,5%iger Wahrscheilichkeit genau den gleichen Weg und hätte Maikind bestimmt mitgenommen. Warum haben wir uns denn vorher nicht gesehen? Muttitaxi-rush-hour an der Bushaltestelle… mein Hirn spielt spontan 90er Jahre Musik: isn`t it ironic?

Wenn ich jetzt eh im Nachbarstädtchen bin, kann ich auch gerade noch ein paar Lebensmittel einkaufen. OK, ich hatte gedacht, die stellen die Straßensperre 10 Meter weiter hinten auf. Gut, dass ich unterwegs war, denn unsere Einfahrt ist jetzt dicht. Ich parke hinter dem Haus und trage alle Einkäufe durch den Garten.

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Lieferengpass, jeder bekommt nur eine Packung. Kein Problem, reicht mir, aber ääähhh? Der Liebste war für mich in der Apotheke und hat etwas abgeholt, das fast so heißt wie das, was ich brauche. Nachfrage in der Hausarztpraxis. Das Rezept war korrekt, wenn die Apotheke es so rausgibt, hat es den gleichen Wirkstoff in gleicher Dosierung, sagt die Dame am Telefon. Na gut.

Fun fact: Dieses Importprodukt hat einen fett gedruckten Warnhinweis auf dem Karton. The action of *Medikament hier in der Schachtel* may last for up to 6 hours, weitere Dosierungshinweise und Handlungsanweisungen für den Fall, dass es nicht besser wird plus Infos zur richtigen Lagerung. Man geht also davon aus, dass es zu medinzinischen Zwecken genutzt wird, von Leuten, die nachts gern schlafen möchten. Das ist nett. Auf der deutschen Packung steht nur der Wirkstoff.

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Der Linienbus ist wohl schon weg, als wir drei Minuten vor der laut App planmäßigen Abfahrtszeit an der Bushaltestelle ankommen. Da steht kein Mensch. Wer jetzt hier lang fährt will mit ziemlicher Sicherheit Richtung Städtchen, spontan ergibt sich eine Mitfahrgelegenheit. Das Kind, bei dem ich mir sicher war, dass es zur Bushaltestelle gefahren werden muss, verlässt, leicht gehetzt aber pünktlich das Haus und erwischt den Schulbus. AS-Taxi-Verspätung bis zu 15 Minuten ist normal, solange muss man warten, dann kann man anrufen, was Märzkind gerade tut. Aha, ja, hatte sie sich gedacht. Wir waren um 7.59 Uhr hier, es war knapp, deshalb wissen wir es genau. Anscheind hat man uns nicht kommen sehen, auf der langen Geraden. Oder… ist vielleicht schon um 7.58 Uhr losgefahren? Egal, der Anschluss ist weg.

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Der Hund hat sich geschnitten, so richtig. Jeder Schritt hinterlässt eine kleine Blutlache auf den weißen Fliesen. Wieso hab ich das denn nicht vorher schon gesehen? Er läuft ganz normal, aber der Flur sieht aus wie ein Tatort. Nicht so schlimm, wie es aussah, zum Glück, aber – einen Hund ruhig zu halten, der lieber raus möchte ist anstrengend.

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Der einzige Facharzt, bei dem überhaupt noch jemand das Telefon abnimmt, kann einen Termin im September anbieten, nachdem man glaubhaft versichert hat, dass man im Einzugsgebiet seiner Zuständigkeit wohnt, verweist aber darauf, dass das eigentlich zu spät sei, denn Zeit sei hier wichtig. Mit Dringlichkeitscode auf der Überweisung könnte man über das medizinische Versorgunszentrum eventuell einen früheren Termin beim anderen Facharzt bekommen. Wir wussten nicht, dass es Dringlichkeitscodes existieren. Anruf in der Hausarztpraxis. Überhaupt kein Problem, der muss allerdings persönlich abgeholt werden. Ab ins Städtchen. Die abholberechtigte Person bringt einen 2×3 cm großen Papierschnipsel, der aussieht wie aus einem Kita-Papierkorb entnommen, darauf steht schlicht Vermittlungscode und eine 12 stellige Zahlenkombi. Man fragt sich Verschiedenes. Anruf im MVZ. Leider sind im 50 Kilometer-Radius innerhalb der nächsten 6 Wochen überhaupt keine Facharzttermine zu bekommen. ACH! WAS! genau das war doch das Ausgangs-Problem. Von sowas steht nie was in der Landlust.

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Eine Person verlässt das Nachbarhaus. Ich erkundige mich, ob da alles soweit… oder sollte lieber heute Nachmittag nochmal jemand gucken? Alles gut, da drin, erfahre ich und noch einiges mehr.

Dorftratsch: Ein Esel ist gestorben und zwei Hunde beinahe, zum Glück ist jemand drauf gekommen, dass es eine Vergiftung sein könnte, gerade noch rechtzeitig. Als kurz danach ein Pferd krank wurde haben sie das Futter durchgesiebt. Gefunden wurden Glassplitter, Heftzwecke und Teile einer Pflanze die für Pferde giftig ist. Die wächst hier nicht. Es gibt einen Verdacht. Man möchte das garnicht weiter denken.

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De Omma würde ihren Geburtstag gern so feiern wie immer. Das wird nicht möglich sein. Gut. Dann Frühstück. So wie die letzten beiden Jahre. Da hatte sie am Wochenende. Dieses Jahr nicht. Wer arbeiten muss, oder verstorben ist, wird nicht kommen können und außerdem hat ihr Wunschlokal leider geschlossen. Ach was, das haben wir letztes Jahr auch gesagt, dann hat sie nachgefragt und es ging. Nnnjaaa, richtig. Aber, dies Jahr ist wirklich geschlossen und vielleicht könnte eine Feier in einem Betrieb, der mehr als 2 Beerdigungskaffees und ein Frühstück im Jahr ausrichtet sogar noch schöner werden. War doch prima da, macht sie genau so wieder, sagt de Omma. Cheerio – Miss Sophie!

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Es ist schon Ende Juni und man kann hier noch schwimmen, das ist toll, stellen der Liebste und ich fest. Der Edersee ist voll, die nächste Badestelle liegt somit nur 15 Minuten entfernt. Herrlich ist das. Und tatsächlich das erste Mal in diesem Jahr, das ich im Wasser bin. Zu Hause trage ich die Winterjacken auf den Dachboden.

Anfang Juni, 2024

„Ich weiß eigentlich gar nicht, was ich erwartet hatte, aber, das nicht“, murmele ich, während wir vor der Tür der saubersten Parkhaustoilette aller Zeiten Wache stehen. Nee, sie irgendwie auch nicht, sagt Märzkind. Julikind kommt dazu, bemerkt, dass diese Toilette wirklich angenehm…. sogar mit Seife… und, hier riecht es aber seltsam. Jo, sagen wir und deuten auf den Passanten der da beschwingt um die Ecke biegt. Der erste freilaufende Kiffer, der uns begegnet ist war ein junger Mann in gepflegtem Sportoutfit, mutmaßlich Pysiotherapeut, mit Barbershop Frisur, tätowierter Wade und riesiger Brötchentüte in der Hand, morgens um halb zehn in der Kurstadt.

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Ein Hauch von Sommer. Die Sonne hat Kraft, der Wind aber auch. Man weiß es nicht. 30er Sonnencreme und Strickjacke, Pollenflug des Todes plus Heuernte. Die Allergiker kacken ab.

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Kinderstunde. Leicht flusig gefiederte Meisen, Kleiber, Gimpel, Specht und Spatzen üben den Anflug und bekommen eine Einweisung in Sachen Sonnenblumenkerne am Futterhaus. So süüüß. Junge Füchse trainieren voll konzentriert das Mäuse fangen auf frisch gemähter Wiese, am hellichten Tag, direkt neben der Straße. So süüüß. Das Reh, das irgendwie zur Nachbarschaft gehört hat Zwillinge, erzählt jemand auf der Geburtstagsfeier. Ja sicher, haben wir schon gesehen, sagen alle Gassigeher und Anwohner. So süüüß. Direkt vor uns huscht was kleines felliges über die Straße, ein Baby-Marder, süüüß – und schön, dass der hier im Wald wohnt und nicht in der Nachbarschaft.

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Familientreffen. Das Schloss im Wald ist privat, weiß jeder. Geplant war, auf dem Wanderweg, der am Gebäude vorbeiläuft zu spazieren und auf der Wiese ein Foto von allen, mit Schloss im Hintergrund, zu machen. Aus der Cousinen-Generation ist allerdings jemand mit dem verheiratet, der sich um die Außenanlagen kümmert und sie sagt, eventuell dürfen wir auf den Hof und ein Foto machen, direkt vor dem Haus, in dem die Geschwister-Generation damals gewohnt hat. Es gab allerdings noch keine Bestätigung. Die Cousine geht vor, um nachzufragen, alle anderen warten am Tor.

„Sie winkt“, sagt jemand, der weiter vorne steht.

„In welche Richtung?“, fragt eine Cousine

„Hä?“, fragt die Stimme von vorne

„Na, ist es ein „macht das ihr weg kommt, lauft so schnell ihr könnt“- winken oder sollen wir kommen?“

„Ääh, warte mal…. nee, doch, wir dürfen“

Och guck. Ich hatte keine Ahnung, dass hier noch ein Haus steht, dabei bin ich bestimmt schon hundert mal vorbeigelaufen, an den Gebäuden. Ich dachte, das wäre eine Scheune und sonst nichts. Und ich bin nicht die einzige. Die Geschister-Generation geht nickend über den Hof, da der Stall und da, in dem Türmchen, gegenüber vom kleinen Haus war das Klo. Das Schloss, der Wald, das Flüsschen alles zusammen ergibt scheinbar eine märchenhafte Idylle. So war es aber nicht, man kann es noch sehen, in ihren Augen. 30 Meter über den Hof laufen zu müssen bis zur Toilette erscheint einem schon an einem sonnigen nachmittag unpraktisch, bei Regen oder Schnee, im stockdunkeln…. lieber nicht.

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Das erste Mal zu viert zu einer Wahl gegangen. Man tut was man kann, und lauscht abends kopfschüttelnd den Ergebnissen.

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„Boar, kumma hier, was ich! hier! habe!“, freut sich das Geburtstagskind. Der Liebste und ich tauschen einen high-five Blick mit einem Hauch von Nostalgie. Ist doch schon länger her, dass wir sandkastentaugliche Landmaschinen verschenkt haben.

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Als ich das letzte Mal über 7°C und Regen gejammert habe, hat es zwei Tage später geschneit. Aber, ach, zweistellige Temperaturen wären schon schön, morgens um halb neun, im Juni. Hunderunde gehe ich in T-Shirt, aber mit Winterjacke drüber. Wäre es nicht so hell und so grün, würde ich sagen, Oktober.