Julikind und ich stehen in der Küche und schauen uns an. „Das ist seltsam“, flüstert sie. Ich nicke nur. Nach sieben Wochen ununterbrochenem Brummgeräusch wurden soeben die Trockengeräte aus der Küche, und dem Raum den wir einst Wohnzimmer nannten entfernt. Die Stille brüllt einen an. Man hat fast das Gefühl, selber Geräusche machen zu müssen, wie Städter beim Waldspaziergang. Nee, doch nicht. Leise ist schon schön. Erst am Nachmittag fällt uns auf, dass man die Plane zwischen Ess- und Wohnbereich dann ja jetzt auch entfernen kann. Es gibt wieder einen direkten Weg vom Esstisch zur Küche und ohne Geräuschkulisse bleibt man gern einen Moment länger sitzen als unbedingt notwendig. Fast wie damals, vor dem Wasserschaden…
Sauber machen, Möbel rücken, provisorische Normalität. Herrlich!
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Honig abgefüllt und in den Keller getragen. Eine krasse Farbe hat der dieses Jahr. Ich hatte gedacht, es könnte Waldhonig dabei sein, wegen der späten Ernte, aber das ist irgendwas anderes. Auf jeden Fall lecker, der wird seine Fans finden.
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Einen Vormittag lang habe ich 24 Grüße aus der Küche hergestellt, verpackt und anschließend verschickt. Aufs Gramm genau 10 kg Paket waren das. Jawoll. Keinerlei adventliche Gefühle entwickelt, der Kalender wird ein Geschenk.
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Also, wenn ich doch sehen kann, dass auf der anderen Seite NIEMAND steht und auch innerhalb der nächsten 30 Sekunden niemand kommen wird, dann fahre ich die 10 Meter durch die Baustelle, ohne an der Ampel mitten im Wald auf grün zu warten. Mehrmals. Kein Gegenverkehr bis zum nächsten Ort.
Leider verträgt diese Straße aber anscheind überhaupt keine Autos mehr. Ab nächster Woche wird voll gesperrt. Dann ist der Nachbarort nicht mehr drei, sondern 10 Kilometer weit weg, für ein halbes Jahr.
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Es ergibt sich eine spontane Hunderunde mitm Vatta. Eventuell müsse man den vorläufigen Weihnachts-Ablaufs-Plan anpassen, sagt er. Das mit den Ommas wird wohl eher nicht so funktionieren, wie wir es im Juli noch angenommen hatten. Man wird alles von der jeweiligen Tagesform abhängig machen müssen. Tja, dann ist es eben so. Wir brauchen nur 200 Meter um einen neuen Plan zu erstellen: Kirche ist um fünf, danach gibt`s Schnitzel*innen und Schnittchen, Käseplatte und Süßkram aller Art in gemütlicher Runde. Wer kommt ist da und falls es Reste gibt wird eingetuppert.
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Ein Traktor parkt direkt vor der Haustür. Das ist ungewöhnlich. Die Freundin musste ein geliehenes landwirtschaftliches Gerät zurückbringen und wir lagen auf dem Weg. Das ist schön. Sie sieht den Raum zum ersten mal ohne Plane, bleibt mittendrin stehen und lacht sich kaputt „ach! du! scheiße!“, also sie haben ja zu Hause Flur-Renovierung und das nervt gewaltig, aber das hier… jo, da geht es ihr doch schon viel besser. Freut mich. Ich mache eine Führung, wir trinken Tee vor rustikaler Bruchsteinmauer und unterhalten uns nett über Altbau-Versicherungskosten und andere Alltagsabenteuer.

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In dem Essenkorb vom foodsharing war eine Kilopackung Kartoffeln drin. Wie niedlich, ich wusste garnicht, dass es sowas gibt. Wir kaufen Kartoffeln in 25 Kilo Säcken. Von einem Kilo aussortierter Kartoffeln war eine einzige kleine angeditscht, die anderen 940g sind völlig in Ordnung. Man wird nachdenklich.
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Maikind kann den (im Führerschein als Beleitfahrer eingetragenen) Nachbarn mit zur Arbeit nehmen und fährt jetzt selbst. Ein Zeitgewinn von drei Stunden pro Woche für mich.
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Der Abwasch dauert inklusive allem hin und her von Geschirr fünfundvierzig Minuten, jeden Tag. Möööp.
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Der Nebel auf der morgendlichen Hunderunde ist so dicht, dass man nach hundert Metern das Gefühl hat alleine auf der Welt zu sein. Man kann kaum 20 Meter weit sehen, dahinter verschwimmt alles optisch miteinander. Sämtliche Geräusche der Umgebung werden irgendwie wattig gefiltert, unmöglich zu sagen, woher sie kommen. Ist auch egal, scheint alles weiter weg. Ich werfe den Ball, der Hund verschwindet und taucht mit Ball wieder auf. Es bewegt sich etwas, auf dem Feld neben uns, eine Gestalt kommt aus dem Nebel, wie im Film. Das ist ja mal ein richtig fetter Hase. Nee, wohl eher ein stattlicher Wäschbar. Hä? Ok. Der Hund hatte anscheind ähnliche Gedankengänge und guckt mich fragend an. Hasen sind ihm völlig egal, fremde Hunde begrüßt er gern in Ruhe, aber, das stelle ich gerade fest, mit diesem Dachs würde er echt gerne spielen. Ich verpasse die halbe Sekunde, in der ich das von vornherein hätte verbieten können. Fröhlich rennt er auf das Tier zu, es sind ja nur noch ein paar Schritte, die beiden haben tatsächlich in etwa die gleiche Größe, ich hätte gedacht… – verdammt – ich weiß garnichts über Dachse. Kämpfen die? Der da sieht auf jeden Fall gestresst aus, sonst wäre er uns wohl kaum so nahe gekommen. Ich rufe den Hund. Der Dachs rennt weiter zur nächsten Hecke und verschmilzt mit den Nebelschwaden, als wäre nie was gewesen. Der Hund nennt mich mit seinem Blick Spaßbremse.
Ganz schön rustikal.
Hauptsache ein Blümchen auf dem Tisch.
Das Blümchen stammt passender Weise aus dem Beileids-Sortiment rund um Allerheiligen.