Hintergrundrauschen, Ende April 24

Morgens um halb acht im Wald. Aus dem Augenwinkel sehe ich am Hang zwei Rehe stehen. Wir begegnen uns jeden Morgen irgendwo auf der Runde, man kennt sich, man ignoriert sich. So nah kommen wir uns sonst allerdings nicht. Anscheind sind heute morgen alle mit den Gedanken woanders. Statt einfach geradeaus in den Wald zu laufen, dreht der junge Rehbock sich um und flüchtet genau in unsere Richtung. Er macht zwei lange Sätze, bemerkt, dass der Hund nicht aus dem Weg geht, weil er sich grundsätzlich nicht für Rehe interessiert und noch nicht gesehen hat, was da auf ihn zukommt, senkt den Kopf und Das kannste nicht erklären stellt die Stimme in meinem Kopf ganz sachlich fest, während ich in einer halben Sekunde darüber nachdenke, wie ich denn wohl das Geweih wieder aus dem Hund und den Hund aus dem Wald…“uuuuaaaaa“ sage ich laut, der Hund guckt hoch und springt sofort zur Seite. Nichts passiert. Alle wach.

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Ein Rapsfeld blüht, direkt vor dem Bienenstand und es schneit. Aus imkerlicher Sicht werden die zwei Sommertage neulich vielleicht als Unwetterereignis zu werten sein, am Ende der Saison.

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Textaufgabe: Eine Schulklasse fährt vom 21. – 24. Mai auf Klassenfahrt. Der zu zahlende Betrag für 4 Übernachtungen inkl Halbpension beträgt laut Elterninformationszettel 212 Euro plus Geld für Ausflüge und so. Details wurden den 13-jährigen Schülern mündlich mitgeteilt, vor den Osterferien und dem Praktikum. Insgesamt sind also 5 Wochen vergangen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die fehlenden Informationen in allen Elternhäusern angekommen sind in Prozent?

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Och guck, für ein bestmögliches Baustellen-Erlebnis baggern sie Freitag noch die Bushaltestelle weg, in dem Ort, durch den dann ab Montag alle durch müssen. Dreißigerzone mit Ampel, der kreuzende Verkehr möge sich nach eigenem Ermessen einordnen. Eine entschleunigende Achtsamkeitsübung.

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Maikind kommt nach Feierabend mit dem Bus nach Hause. Eigentlich. Es könnte sein, dass sich die Verbindung geändert hat, wegen Baustelle und unklarer Streckenänderung. Ich frage nach, ob ich ihn irgendwo auflesen soll. Ja, auf jeden Fall, aber wann und wo kann er noch nicht sagen, denn der Bus, der vor fünf Minuten bei uns vorm Haus hätte ankommen sollen, steht immernoch am Busbahnhof im Städtchen. Der Fahrer muss Pause machen, Lenkzeit überschritten. Nur zum Spaß hat er mal nachgeschaut, wie man die letzten 6 Kilometer überbrücken könnte, wenn man den Anschlussbus im Nachbarort verpasst, erzählt Maikind auf der Rückfahrt. Spoileralarm: Zu Fuss wäre man schneller.

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Märzkind ruft an, ob ich sie im Nachbarort holen könnte, es gibt anscheind keinen Anschluss. Sicher. Zur vereinbarten Zeit stehe ich an der Ersatz-Bushaltestelle hinter der Ampel. Märzkind ruft an, um zu fragen, ob ich schon da sei. Jo. Ah, Mist, tut ihr voll leid. Sie wurden rausgelassen und stehen gerade drei Orte weiter, da kommt gleich ein Bus, der fährt durch bis nach Hause, wusste niemand, steht nicht in der App, ist aber so.

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Julikind kann morgens mit dem Bus zum Praktikumsbetrieb fahren. Nachmittags fährt nichts. Sie muss abgeholt werden, um 15 Uhr. Es sei denn sie fährt mit auf Baustelle, dann könnte es später werden, es sei denn, sie sind eher fertig oder die Baustelle liegt so, dass man sie auf dem Rückweg zu Hause vorbeibringen kann.

Theoretisch liegt die Bushaltestellen-Einsammel-Fahrt in diesem Zeitraum auf dem Weg. Praktisch nicht einmal.

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Im Spülmaschinen-Ablauf-Sieb steckt eine Plastikpommesgabel. Intuitiv strecke ich eine Hand aus, um sie zu entfernen. Moment. Plastikpommesgabeln kommen doch eigentlich nicht in den Geschirrspüler und, wenn ich so darüber nachdenke, ist diese nervige Fehlermeldung, die sonst immer blinkt nicht da gewesen, beim letzten Spülgang. Könnte Zufall sein oder smartes engineering oder beides. Ich lasse die Pommesgabel wo sie ist. Never change a running system.

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Mittagessen zu dritt. Märzkind fällt was ein: „Ah so…, wegen Sektempfang, sollte ich dich noch fragen, ob du das… machste, ne?“ Pluseinskind verarbeitet die Frage, gibt dann ein zustimmendes Geräusch von sich und gestikuliert „kein Thema“, „siehste hab ich doch gesagt, braucht man nicht fragen, das macht der so“. „Ist höflicher“, argumentiere ich. Pluseinkind hat schon auf der Ladies-Night im Kino Sekt serviert, sagt er und schweigt dann vielsagend.

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„Und? Wie gefällt dir diese Deko?“, frage ich Julikind auf der Feier ihrer Freundin. „Sehr schön“, ungefähr genau so hatte sie sich das auch gedacht. „6 Tage vor Veranstaltung wissen wir also endlich, was für Dekogedöns auf den Tisch soll“, murmele ich, eigentlich nur zu mir selber. Och, das sei aber sehr sympathisch, sagt die neben mir sitzende Mutter, sie sei da auch immer recht entspannt. Aber das sagt man ja so kurz vorher lieber keinem. Stimmt. Ich wundere mich selber, aber das entspannte Gefühl ist echt. Naja, die Eskalation wird uns finden, zu gegebener Zeit.

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Es hat eine Weile gedauert, sich zu der Erkenntnis durchzuringen, aber jetzt ist es soweit. Ich hole mir die Winterhandschuhe wieder vom Dachboden, ziehe Skiunterwäsche drunter und ein zweites paar Socken an bevor ich mit dem Hund rausgehe. Könnte sein, er fährt morgen mit der Flitschbimmel an die Arbeit, sagt der Liebste. Bei seinem Auto sind schon Sommerreifen drauf, leichtsinnigerweise, Ende April.

3 Kommentare zu „Hintergrundrauschen, Ende April 24

    1. Oh, dankeschön.
      Seltsamerweise sind immer die Dinge lustig, die fast schon in der humorfreien Zone liegen, hinterher.

      1. Hinter betrachtet wirkt das Leben skurril. Was wäre, wenn unser Blutdruck nicht manchmal in Wallung käme? Langeweile. Das wollen wir auch nicht.

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