Leer, hinüber und ausverkauft KW9/10 2023

Den Weg zur Sockenschublade finde ich ohne Licht und nehme einfach irgendwelche. Im Bad öffne ich die Rollladen und blicke in eine Winterlandschaft. Fünf Zentimeter Schnee liegen schon und es schneit in dicken Flocken. Och guck, auf den Socken des Tages tanzt ein Lebkuchenmann mit Zuckerstange. Eigentlich ist März, aber ach komm geh weg.

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Dem Liebsten gehts nicht nur besser, sondern wieder gut. „Einfach so“, sagt er. Das freut uns natürlich alle. Aber „einfach so“ stimmt ja nicht. Die letzten sechs Wochen haben Spuren hinterlassen. Mein ohnehin schwacher Akku ist leer. Ganz dringend müsste ich mal eine Stunde alleine in einem Raum sitzen, vielleicht sogar anderthalb. Einen Film gucken, ohne dass jemand was von mir will, oder was lesen, oder was denken. Die Familie merkt, dass es mir nicht gut geht und reagiert fürsorglich. Muss denn noch irgendwas erledigt werden? Wäsche aufhängen vielleicht oder mal durchsaugen oder will ich vielleicht was trinken, brauche ich Gesellschaft, weil ich da so ganz alleine sitze? Der Hund wirft mir sein Spielzeug normalerweise schwungvoll vor die Füsse, wenn es ihm zu langweilig wird. Heute legt er es ganz leise neben mir aufs Sofa, wartet einen Moment, stupst es einen Zentimeter in meine Richtung, wartet, guckt so… Es ist kompliziert.

Der Liebste möchte mir eine Freude machen und erledigt in meiner Abwesenheit eine seit langem aufgeschobene Klempnerarbeit, fast. Es war klar, dass dieser Wasserhahn sich wehren würde, deshalb hat er direkt mit Kraft…ist dann abgerutscht und, was ich denn meine, ob er mit dem Finger zum röntgen? Wottsefack. „Äh, im Badezimmer ist die Spülung kaputt und im Gästeklo der Wasserhahn, sehe ich das richtig?“ ruft eine fragende Stimme von oben in den Hausflur. Jipp, genau so.

Dann, auf wundersame Weise sind tatsächlich alle mal unterwegs. Ich kann mehrere Arbeiten gleichzeitig anfangen, sinnig nebeneinander her laufen lassen und beenden. Wäsche zusammenlegen, nach oben tragen, in Zimmer verteilen schmutzige Wäsche nach unten tragen, saubere Wäsche, äh? hä?, die ist schon trocken? das kann doch garnicht… Oh ha. Jetzt isses soweit. Im geistigen Leerlauf hab ich einen kleinen, aber entscheidenen Zwischenschritt vergessen. Dreckwäsche wieder hoch tragen, vor der Waschmaschine auskippen, Waschmaschine öffnen, saubere Wäsche in den Keller tragen, aufhängen…

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Alle drei Kinder schreiben jeweils drei Klassenarbeiten diese Woche. Die Mädels sitzen schon eine ganze Weile lernend am Esstisch. Anscheind kann man sich im Hauptraum besser konzentrieren, als alleine am Schreibtisch. Maikind hatte tatsächlich mal Unterricht bis zur achten Stunde. „4,90 Euro kostet ein Cheeseburger jetzt, im Pommesgeschäft“, sagt er, ganz schön viel, wenn man gegenrechnet, wie lange man dafür Rasen mäht. Dann guckt er eine Weile vor sich hin. „Wir könnten ja mal eine Runde das neue Spiel spielen“, schlage ich vor. Jo, eine Runde, das würde wohl gehen, sagt er, und teilt aus. Ich gewinne, damit hatte niemand gerechnet, eine zweite Runde also. Der Liebste kommt von der Hunderunde zurück. Eine Runde würde er wohl mitspielen. Julikind verfolgt mittlerweile das Spiel, erkundigt sich nach Regeln, packt ihre Schulsachen ein, um mal eine Runde mitzuspielen. Märzkind verabschiedet sich Richtung Fitnessstudio. Wir könnten auch mit aufschreiben spielen, eine Runde. Zwei Stunden später hören wir auf, wegen Hunger, ist ja schon Abendessenszeit. Das war schön und hat allen mal gut getan. Uffpasse, hier kommt Werbung: SKYJO, ein unterhaltsames Kartenspiel, das logisch denkenden Taktikern und Chaosköpfen Spass macht, selten sowas, selber gekauft

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Elternchatnachricht am Wochenende. Vielleicht wäre es eine schöne Idee, zum Schuljahresabschluss einen Wandertag mit einer Übernachtung zu machen, da soll mal jeder seine Meinung sagen, bevor das in eine Planungsphase geht. Ganz kurz natürlich, also wirklich nur ganz kurz und sehr zeitnah, bitte. Übernachtung wäre im Camp der Sportjugend, Anreise per Fahrradtour und am Abreisetag könnte man die Eltern mit einbinden. Übersetzung: Jemand müsste eine Fahrradgepäcktasche von irgendwem ausleihen, das Fahrrad so herrichten, dass es offiziell verkehrstüchtig ist, den Fahhrradträger aufs Auto wuchten, das Kind mitsamt Fahrrad und Gepäck am morgen zur Schule bringen und am nächsten Tag woanders wieder abholen, zum Schnapperpreis von 65 Euro. Rücksprache mit dem Julikind. Wir erinnern uns beide noch sehr gut daran, dass es am Ausflugstag vor einem Jahr 42°C warm war, wenn das wieder so wäre, hätte sie keine Lust, ansonsten klingt das gut. Wenn niemand so richtig Lust darauf hat und ich das jetzt sofort in einem emoji entscheiden muss…Daumen runter. 6 weitere Daumen zeigen nach unten, 7 andere nach oben. Man darf gespannt sein. Julikind kommt von der Schule und freut sich. Den morgen, wenn der Wandertag ist, braucht sie gar keiner zur Schule bringen. Die Strecke führt quasi an unserem Haus vorbei. Man wird eine Pause machen und Eis essen, bei uns im Garten, und sie kann dann von hier aus mitfahren. „Eis für 17 Leute, dann, ne, Mama?“ „Äh, hä? Ja nee, sicher, kein Problem“. Es wird Sekt geben, an dem Tag, an dem ich den letzten Elternchat löschen kann, oder Whiskey.

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„Nu sag was“, sage ich und zeige auf meine Füsse. „Oh, neue Schuhe, garnicht gesehen…“ Der Außendienstler ist modisch maximal desinteressiert, die neuen Schuhe sehen genau aus wie die Alten, dass er trotzdem auf den ersten Blick einen Unterschied bemerkt, sagt eigentlich alles. Der Freundeskreis brauner Ökoschluffen kennt seine Mitglieder. „… was ist mit den Alten? War die schwarze Sohle schon runter?“ „Nee, nee, war noch die ganze Sohle schwarz, die Korkschicht ist rausgebröselt…“ „Nja“, sagt er in aufrichtiger Anteilnahme, „…wenn Kork bröselt isses soweit, da machste nix dran…aber, es ist doch immer ein Abschied“ So isses. Die neuen waren übrigens deutlich teurer als ihre Vorgänger, da merkt man mal Inflation und so… aber nützt ja nix.

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Im Baum vor dem Fenster sitzt ein Vogel, er bewegt den Schnabel und sieht fröhlich aus, als würde er zwitschern. Man hört aber nix. Das neue Fenster ist drin. Allmählich wird deutlich, wie kaputt das alte wirklich war.

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Wochenlang hat niemand nach Honig gefragt, ich muss tatsächlich mal im Keller gucken, ob noch welcher da ist. Punktlandung. Die letzten nicht reservierten Gläser verlassen das Haus. Dann innerhalb eines Tages, eine Anfrage per Telefon, eine an der Haustür. Es tut mir leid. Per whattsapp Status informiere ich die Welt, das wir leider ausverkauft sind, weil wir gar kein Schild mehr an der Straße haben, dass man abnehmen könnte. Ich hatte mit keinerlei Reaktion gerechnet und bin ehrlich überrascht. Es erreichen mich Nachrichten, von Leuten, die noch reservierten Honig haben und versichern, den zu holen (nicht, dass ich da Zweifel gehabt hätte), von Leuten, die geplant hatten, demnächst welchen zu holen und sich gerade über sich selber ärgern und erste Vorbestellungen. War sehr nett, hab mich gefreut. Sobald der Schnee weg ist gehts los.

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