Kurz nach acht Uhr morgens mache ich mich auf den Weg ins Städtchen. Ich fahre nur 80 und etwas weiter mittig als man das normalerweise tun würde, weil ich sehen kann, das von vorne keiner kommt. Hinter mir ein Baustellen-Kleintransporter voll besetzt mit Malochern, alle unter 30. Eigentlich müssten die mir direkt an der Stoßstange kleben, hier, um diese Zeit, tun sie aber nicht. Die kleine Landstraße hat gelitten, nach einem halben Jahr Umleitungsverkehr von der Bundesstraße. Es gibt keine Bankette mehr. Also machen wir alle ein bisschen langsamer und teilen die Fahrbahn nach Bedarf. Man wundert sich, aber es geht.
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Zeiten, Abläufe, Wege alles ist leicht verändert in den letzten Wochen, auf gute Art, nur eben ungewohnt.
Mittagessen für drei Leute. Tja, äh, kocht man da was? Es könnte sich doch einfach jeder ein Brot schmieren, schlage ich vor und wir essen dann „was richtiges“ wenn mehr Leute da sind. Julikind nennt spontan drei Haushalte in denen immer nur zwei Leute wohnen und vermutet, dass die doch wohl nicht alle immer nur Käsebrot essen. Da hat sie recht, gebe ich zu und überlege mir was. Es fühlt sich ein bisschen an wie Puppenküche.
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„Ich muss rauchen, kommst du mit?“, fragt die Mutterkollegin und zupft leicht an meinem Arm. „Hä?“ sage ich in der Betonung für ich-verstehe-was-du-sagst-aber-nicht-was-du-meinst. Na, sie muss da hinten hinter die Hecke, ich soll bitte mit, sie muss mir noch was erzählen. „Also, ehrlich, es ist stockdunkel, wir sind über vierzig, wenn du rauchen möchtest, dann steck dir eine an“ „Meinst du? Wirklich? Hier?“ Ich nicke, merke dann, dass sie das nicht sehen kann und sage „jaha, sicher“. Dieser Elternabend war anstrengend. Zu Hause trinken der Liebste und ich noch ein Bier, auf der Treppe vorm Haus. Da kann er sich auf freuen, nächstes Jahr, sage ich, oder vielleicht geht einfach keiner mehr hin.
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Im August gabs einen Vormittag, da sind wir uns in dicken Jacken begegnet und hätten eigentlich Handschuhe gebrauchen können, ob er sich erinnern kann, frage ich den Landwirt, der mir auf der Hunderunde begegnet. Die laufe ich heute im T-Shirt und Sonnencreme wäre eigentlich nicht verkehrt gewesen fällt mir gerade auf. Jetzt, „wo ich das sage, stimmt“, sagt er, während er Blätter fegt, in kurzer Hose, Mitte Oktober.
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Landtagswahlen in Hessen: Seit Wochen halte ich immer wieder kleine Vorträge, darüber, wie toll das ist, in einer Demokratie zu leben, wo jeder alles sagen darf und das einzige Risiko darin besteht, dass man für eine kognitiv suboptimierte Arschkrampe gehalten wird und einem das auch gesagt wird. Dass es wichtig ist, hinzugehen, wenn Wahlen sind, weil jede Stimme gleich viel zählt und es hier sonst nur Politik für Rentner geben wird, denn die gehen hin….
Sonntag vormittag: Märzkind kommt von irgendwo und ist unterwegs nach irgendwo anders, wollte nur kurz Hallo sagen und dass sie schon gewählt hat. Ich freu mich. Das Pluseinskind durfte allerdings leider nicht wählen. Er wohnt erst seit September im Ort, das Wählerverzeichnis wurde im August auf den letzten Stand gebracht, deshalb steht er noch nicht drin. Er müsste in seinem vorherigen Wohnort wählen. „… und, ganz ehrlich, mal abgesehen davon, dass das zeitlich nicht passt, die Spritkosten wegen zwei kleinen Kreuzen? Dann eben nicht, leider“. Versteh ich. Schade eigentlich.
26% der abgegeben Stimmen im Ortsteil für die AfD. Anscheind mögen wir Nazis. Ich könnte kotzen.
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Der Liebste bestellt Holz inklusive Lieferung. Natürlich haben am einzig möglichen Liefertermin alle Kinder Unterricht und Arbeit, aber, eigentlich schafft man das auch zu zweit ganz gut. Wenn man nicht nebenher noch schnuddeln und Kaffee trinken muss. Symbolbild für den Muskelkater des Todes.

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„Ich habe gehört, was passiert ist. Es tut mir sehr leid.“
„Er war mein Freund“
Mehr Worte braucht es nicht. Ein Suzid im Freundeskreis meines Bruders.
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Zum zweiten Mal in dieser Woche fährt der Schulbus um drei Minuten nach acht hier weg, das weiß ich, weil der quasi vor unserem Fenster wendet. Schulbeginn ist um 8 Uhr. Es fängt an, mich zu stören, leider. Andererseits- es fährt ein Bus. So selbstverständlich ist das nicht, sagt der Fachoberschüler aus dem Nachbarort. Er sei letzte Woche zweimal stehen geblieben. Da kam einfach keiner, wo laut Plan einer hätte kommen sollen. Schon stört es mich kein bisschen mehr.
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Dann ändert sich die Jahreszeit, innerhalb eines Tages. Morgens ist Spätsommer, nachmittags eindeutig Herbst. Liegt es an mir? Nein, das Thermometer zeigt 10°C weniger an als heute morgen, wir lassen die Übergangsklamotten aus, und wechseln von T-Shirt auf Winterjacke, außerdem zieht der Liebste Winterreifen aufs Auto und ich die Winterdecke aufs Bett. Auf dem Sportplatz wird Glühwein ausgeschenkt, meldet Märzkind. Ernte- Fahrzeuge fahren bis Mitternacht durch den Ort. Am nächsten Morgen sind die Grasschwaden auf den Wiesen gefroren, habe ich so auch noch nicht gesehen.
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Ich packe zwei Brotdosen. Eine für einen Schultag, die andere für einen Berufsschultag, also knallevoll, weil ich nett gefragt wurde und wach bin. Viertel vor sieben fällt mir auf, das es ungewöhnlich leise ist, im Haus. Vielleicht besser, ich schaue mal nach. Gute Entscheidung, lobe ich mich selber, denn im Zimmer des Maikinds ist es dunkel. Vorsichtig mit dem Fuss voran tastend bewege ich mich Richtung Fenster, ziehe den Rollladen hoch und hä?? Da liegt niemand im Bett. Es war auch niemand im Badezimmer, bin ich mir sicher. Entweder, Maikind wurde hochgebeamt, oder er hat gar keine Berufsschule und ist im Betrieb?